"La Rivista di Engramma (open access)" ISSN 1826-901X

198 | gennaio 2023

97888948401

Porträt aus Büchern. Stichworte

Michael Diers

Michael Diers (hrsg. von), Porträt aus Büchern. Bibliothek Warburg & Warburg Institute, Hamburg 1993, 9-27. Einige wenige Anmerkungen wurden gestrichen, da sie auf den Anhang des Buches, der hier nicht wieder abgedruckt wird, Bezug nehmen.

“Warum sind Sie eigentlich so unbekannt?” Ich wies
auf die lange, ad hoc ausgestellte Serie unserer
Publikationen hin - es sei nicht ganz meine Schuld.
(Aby Warburg, Notiz vom 25.8.1928 im Tagebuch der KBW)

Ende und Neubeginn

Vor sechzig Jahren, am 12. Dezember 1933, legten im Hamburger Hafen zwei kleine Frachter der Hamburg Amerika-Linie ab, um eine Fahrt über den Kanal nach London anzutreten. Die Ladung der beiden Dampfer Hermia und Jessica [Abb.1 u. 2] war außergewöhnlich. Verstaut in 531 Kisten hatten sie die gesamte bewegliche Habe der Kulturwis­senschaftlichen Bibliothek Warburg an Bord – rund 60.000 Bücher, dazu die umfangreiche photographische Sammlung mit 25.000 Abbildungen sowie die Regale, Möbel und Gerätschaften des Forschungsinstitutes, das sich unter dem Druck der neuen politischen Verhältnisse auf den Weg in die Emigration machte, eine Reise, die sie von der angestammten Adresse Heilwigstraße 116 im Stadtteil Eppendorf zunächst ins Thames House, Millbank, London S.W.1 führen sollte (Siehe darüber den Bericht von Eric M. Warburg: Warburg 1953, wieder abgedruckt in Wuttke 1989, 275-278). Den Behörden gegenüber galt dieser Transfer offiziell als eine auf drei Jahre befristete Ausleihe. Nur die von Warburg in den Jahren 1914 bis 1918 aufgebaute Weltkriegssammlung mit 2000 Büchern und Zeitschriften sowie die Arbeitsbibliothek zur Astrologiegeschichte, die als Leihgabe im Hamburger Planetarium untergebracht war, blieben gleichsam als Faustpfand in Hamburg zurück. Die sog. Kriegsbibliothek ist 1943 mitsamt dem zugehörigen Zeitungsartikelarchiv verbrannt; 1939 war sie von der Familie Warburg der Hamburger Stadtbibliothek (heute: Staats- und Universitätsbibliothek) als Schenkung angeboten worden; das Angebot wurde jedoch von der Bibliotheksleitung “Heil Hitler!” grüßend ausgeschlagen (Diers 1991, 208 f). Zusammen mit dem Hab und Gut der Bibliothek verließen auch die langjährigen Mitarbeiter des Instituts die Hansestadt und gingen ins Exil, so Fritz Saxl, seit 1913 als Wissenschaftler an der Seite Warburgs tätig und nach dessen Tod im Jahr 1929 Leiter der Bibliothek, so Gertrud Bing, vormals Warburgs Assistentin, so Edgar Wind, Privatdozent an der Hamburger Universität, so der Bibliothekar Hans Meier, so auch der Buchbinder Otto Fein.

1, 2 | Hermia und Jessica Foto aus dem Archiv der Hapag-Lloyd AG. Für die Beschaffung der beiden Fotografien danke ich Anne D. Petersen und Andreas Heller.

Mit der erzwungenen Umsiedlung ging eine Ära zu Ende: Unter dem Druck des Naziregimes wurde eine weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte und vortrefflich renommierte Republik der Gelehrsamkeit aufgelöst, deren Mittelpunkt bis dahin die KBW gebildet hatte. Ein vertraulicher Brief Saxls an Percy Ernst Schramm vom 31. Juli 1933 ruft in knappen Worten noch einmal die Bedeutung der Bibliothek Warburg als geistige Produktionsstätte in Erinnerung und beleuchtet dann die prekäre Lage, die dringend dazu nötigte, binnen kürzester Frist eine Entscheidung über die persönliche Zukunft wie jene der Bibliothek herbeizuführen:

Panofsky, Cassirer, Wind und ich sind von der Universität weg. Trotzdem ich im Krieg war, wurde mir auch gesagt, daß ich untragbar wäre – ich hatte allerdings schon von mir aus resigniert. Wir sind also als Institut in Zukunft gerade von der Verbindung abgeschnitten, die für uns die lebendigste war. Panofsky muß weg, da seine Pension ja nur sehr klein ist, Cassirer will weg. Wir verlieren also auch unsere besten Mitarbeiter. So fragt es sich eigentlich hauptsächlich nicht, ob man weg soll, sondern wohin man soll? An und für sich sind wir zum größten Teil amerikanisches Privateigentum, werden, wie Sie wissen, von den Amerikanern [sc. die in New York lebenden Brüder Warburgs] unterhalten und haben daher nicht die geringste Chance, hier in Hamburg weitererhalten zu werden. Die Frage ist nur, ob die Amerikaner ein Interesse daran haben, uns anderswo zu erhalten, und wenn ja, wo denn. Das sind Dinge, über die Verhandlungen hin und her gehen. England schiene uns eine Möglichkeit, Holland eine andere, Palästina eine dritte und Amerika eine vierte. Aber das alles sind vorläufig ziemlich seifenblasenartige Dinge (Grolle, Schramm 1990, 150). 

Aus diesen Überlegungen erwuchs zuletzt der Entschluß, Hamburg in Richtung Großbritannien zu verlassen. Dank des großzügigen Entgegenkommens der englischen Gastgeber (und der stillschweigenden Duldung aufseiten der Hamburger Behörden) bedeutete dies neben der Rettung der Büchersammlung zugleich auch den Beginn einer neuen, bis in die Gegenwart währenden Epoche für die Bibliothek Warburg, die hinfort als The Warburg Institute firmieren und einige Jahre später, am 28. November 1944, der University of London inkorporiert werden sollte.

Aus Deutschland sandte man den emigrierten Gelehrten Schmäh und Hetzartikel hinterdrein, so im Januar 1935 im “Völkischen Beobachter” anläßlich der Besprechung einer neuen Publikation der Bibliothek Warburg, die noch in Hamburg bereits weitgehend abgeschlossen worden war. Unter dem Titel Juden und Emigranten machen deutsche Wissenschaft rechnet der Verfasser Martin Rasch in einer antisemitischen Polemik mit dem ersten Band der von Hans Meier, Richard Newald und Edgar Wind 1934 edierten Kulturwissenschaftlichen Bibliographie zum Nachleben der Antike ab [Abb. 3]. Der Autor verweist darauf, daß “ein bestimmter, vorwiegend jüdischer Kreis der geistige Urheber ist und daß es sich zudem zum großen Teil um Leute handelt, die wie die ganze Bibliothek Warburg nunmehr Deutschland verlassen haben”. Eingangs stellt er die betreffenden Gelehrten in Form einer namentlichen Auflistung an den Pranger, um dann seine Invektive mit den Worten zu schließen: “Wir aber sind sehend geworden und wissen, was wir davon [sc. die “antifaschistischen Spitzen” der von Wind verfaßten Einleitung] denken sollen. Wir wollen nicht mehr diese jüdische und emigrantische ‘Wissenschaft’, die die Wissenschaft zum ‘Betrieb’ erniedrigt und sich an dem Geld des deutschen Volkes bereichert und es dafür wagt, dessen neue Lebens- und Kulturauffassung offen und versteckt zu begeifern” (“Völkischer Beobachter” 5 vom 5. Januar 1935, 5). In ähnlicher Weise diskreditierte man die Emigranten auch in den Kreisen der Fachwissenschaft, so wenn der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder in einer Festschrift zu Hitlers 50. Geburtstag verlauten ließ: “Das Ausscheiden der jüdischen Kunstgelehrten aus Forschung und Lehre befreite von der Gefahr eines allzu begrifflichen Denkens, dessen Richtung – dem Wesen unserer Kunst so fremd wie dem unserer Wissenschaft - der Auswirkung rein deutscher Forschung hinderlich sein konnte” (Pinder 1939, 13).

3 |“Völkischer Beobachter” Nr. 5 vom 5. 1. 1935 (Warburg-Archiv, Hamburg).

Nicht erst aus der Perspektive solcher (und vergleichbarer) Nachreden, erwies sich die rechtzeitige Überführung der Bibliothek Warburg als Rettung. 

Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der bislang unpublizierte Briefwechsel von Max M. Warburg mit der Hamburger “Behörde für Kirchliche und Kunstangelegenheiten”, der aus den Tagen kurz vor dem definitiven Transfer datiert (abschriften der zitierten Briefe finden sich im Archiv des Bankhauses M.M. Warburg, Hamburg; die Kenntnis dieser Schriftstücke verdanke ich Karen Michels) darin wird von Max Warburg ausdrücklich der Aspekt der Ausleihe betont:

Ich lege sehr grossen Wert darauf, Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor [i.e. von Kleinschmit, Leitender Regierungsdirektor], diesen Sachverhalt zu schildern, damit diese Leihgabe nicht falsch interpretiert wird. Es ist von mir angeordnet worden, dass die Arbeiten in London unter Vermeidung möglichst jeder Publizität ausgeführt werden, ebenso wie auch hier [in Hamburg] möglichst wenig über diese Veränderung unsererseits gesprochen werden soll. Ein Teil der Bücher, diejenigen, die als Leihgabe im Planetarium Aufstellung gefunden haben sowie die sogenannte Kriegssammlung, bleiben hier in Hamburg. Ausserdem wird Herr Dr. Paul Ruben, der auch bisher in der Bibliothek tätig war, dem Publikum zur Verfügung stehen, um gewünschte Bücher, soweit sie in London entbehrlich sind, jeweils herschicken zu lassen (Bf. v. 28. November 1933).

Unter dem Datum des 8. Dezember 1933 bestätigt die Behörde die Kenntnisnahme der ‘Leihgabe’:

[…] Dass die Absicht besteht, die Bibliothek Warburg leihweise auf 3 Jahre nach England zu bringen zu dem Zweck, die angefangenen Arbeiten dort von den Gelehrten, die sie hier begonnen haben, zum Abschluss zu bringen. Ich entnehme ferner Ihrem Brief, dass Sie die Absicht haben, die Bibliothek nach Ablauf von 3 Jahren wieder hier nach Hamburg zurückzuschaffen.

Der Regierungsdirektor bittet schließlich im selben Brief darum, die Überführung der Bibliothek nicht unmittelbar jetzt vorzunehmen:

[…] Ich bin von verschiedenen Seiten, die ein begründetes wissenschaftliches Interesse haben, jetzt befragt worden, über das Schicksal der Bibliothek Warburg. Ich möchte diese Fragen mit Ihnen […] erörtern und durch einen raschen Weggang der Bibliothek keine verkehrten Meinungen aufkommen lassen.

Einen Tag vor der Überführung der Bibliothek, am 11. Dezember 1933, antwortet Max Warburg schließlich:

[…] Dass bei Empfang Ihres Schreibens die Versendung durch zwischenzeitlichen Versendungsauftrag an den Spediteur, Belegung eines bereits morgen abgehenden Dampfers und Beschaffung der erforderlichen Räume in London bereits soweit eingeleitet [war], dass eine Hinausschiebung besondere Schwierigkeiten verursacht haben würde.

Und das Gedenken an den Exodus der KBW vor sechzig Jahren [Abb. 4] kann sich daher heute zugleich mit dem Gedanken an eine sechs Jahrzehnte fortdauernde, ununterbrochene Tätigkeit des Londoner Warburg Institute verbinden, ein Zeitraum, in dem das in Hamburg begonnene Projekt zu einer weltweit namhaften Institution ausgebaut worden ist. Mit bewundernswerter Energie wurde die Bibliothek Warburg ungeachtet aller Schwierigkeiten, die eine solche Verpflanzung ins Ausland notgedrungen mit sich brachte, unverzüglich wieder installiert. Bereits im Mai 1934 konnte sie ihre Tore öffnen (Bing 1957, 23) und die Arbeit, auch jene an den zwangsläufig liegengebliebenen Editionsvorhaben, fortgesetzt werden. Und aus der neuen Umgebung in England erwuchsen zugleich neue Aufgaben und Projekte (Darüber informieren fortlaufend die “Annual Reports” des Warburg Institute, beginnend mit dem Jg. 1934-1935; ferner auch Bing 1957, 23 ff).

Schließlich zog die Bibliothek innerhalb Londons noch zweimal um, 1937 in die Imperial Institute Buildings in South Kensington, zwanzig Jahre später dann in das Gebäude am Woburn Square, wo sie seitdem in bester Campuslage untergebracht ist. Das “Hitlerjahr 1933” (Saxl) markiert das unfreiwillige Ende der Geschichte der KBW – ein Ende jedoch, das gleichzeitig ein neuer Anfang war.

4 | “Hamburger Familienblatt”, Beilage zu Nr. 51 vom 21. 12. 1933 (Warburg-Archiv, Hamburg).

Im Jahr 1948 hat Gertrud Bing in einem Brief (vom 22. Juni) an Franz Alber in Zürich, der Warburg in seinen letzten Lebensjahren als Amanuensis zur Seite stand, einen kurz gefassten Bericht über die personell veränderte Situation des Warburg Institute in den Nachkriegsjahren gegeben:

Lieber Herr Alber, ich habe mich wirklich sehr gefreut, nach so langer Zeit wieder von Ihnen zu hören und ich hätte Ihnen schon längst antworten sollen. In der Zwischenzeit ist leider Herr Professor Saxl im März sehr plötzlich an einer Herzthrombose gestorben und ich kann Ihnen daher keinen so guten Bericht über unser Wohlergehen geben, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Es hat mich sehr amüsiert, aus Ihrem Brief zu ersehen, dass der ‘gute Klang’ des Namens unseres Instituts auch zu Ihnen gedrungen ist. Das verdanken wir natürlich in erster Linie Professor Saxl, den unsere englischen Freunde sehr gern gehabt haben. Vielleicht hat Ihnen Fräulein [Eva] von Eckardt [vormals Sekretärin an der Bibliothek Warburg] erzählt, dass sie im Februar drei Wochen hier war. Wir haben uns sehr mit ihr gefreut. Die Arme hat wirklich Schweres durchgemacht, aber jetzt hat sie ja einen ganz guten Posten bei der englischen Control Commission. Dass unser guter Dr. [Hans] Meier hier von einer deutschen Bombe im Krieg getötet wurde, haben Sie wohl gehört. Da Dr. [Edgar] Wind kurz vorm Krieg nach Amerika gegangen ist und nicht wie­derkommt, sind von den alten hamburger Mitarbeitern nur Herr [Otto] Fein und ich noch vorhanden. Herrn Fein geht es sehr gut – er ist noch Chef der Buchbinderei, ist aber beinahe mehr als Photograph tätig als als Buchbinder. Ich schicke Ihnen mit gleicher Post ein kleines Buch, dass Dr. [Carl Georg] Heise, der jetzige Direktor der Hamburger Kunsthalle, über Professor Warburg geschrieben hat [Heise 1947] und würde mich sehr freuen, wieder einmal von Ihnen zu hören. Mit besten Grüssen stets Ihre. G. Bing. (Unveröffentlicht, vormals Privatsammlung Berlin).

Eine Bibliothek als Anstiftung

…man fühlt sich [beim Betrachten einer Bibliothek]
wie in der Gegenwart eines großen Kapitals,
das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet
(Goethe, Tag und Jahreshefte, 1801)

Seinen Ausgang hatte der Plan zu einer Bibliothek Warburg im Jahr 1902 mit der Rückkehr des Privatgelehrten Aby Warburg von einem langjährigen Studienaufenthalt in Florenz genommen. Mit seiner Familie und der bereits damals an Umfang und Gehalt ansehnlichen Privatbibliothek siedelte Warburg in seine Heimatstadt zurück. Kurz darauf, im Jahr 1903, notiert er in seinem Tagebuch: “Idee in Hamburg eine kulturwissenschaftliche Station zu errichten” (“Tagebuch”, Dezember 1903 und Gombrich [1970] 1992, 179) ein Vorhaben, das der Kunsthistoriker in den kommenden Jahren mit Nachdruck verfolgte und das spätestens 1921 seine definitive Gestalt gewann: eine halböffentliche Bibliothek, die zugleich ein Forschungsinstitut war, vorerst noch sehr beengt untergebracht in den Privaträumen seines Hauses in der Heilwigstrasse 114, später dann, ab 1926, in einem eigenen Bibliotheksgebäude, das Warburg auf dem Nachbargrundstück errichten ließ. Die genaue Festlegung eines Datums für die Gründung der Bibliothek Warburg im eigentlichen, den Rahmen einer Privatbibliothek sprengenden und an die Öffentlichkeit gerichteten Sinn ist kaum möglich, die Übergänge waren fließend; 1926 notiert Warburg für die Vortragsreihe 1926/27 in einem Notizbuch die Idee zu einem Vortrag Fritz Saxls über “25 Jahre KBW” und verweist somit auf das “Gründungsjahr” 1901/02 (“Notizen 1925/26”, London, The Warburg Institute, Archives, III, 13.1, S.30); “als halböffentliche Einrichtung bibliotheksmäßig geführt” wurde die Bibliothek seit 1905 und war unter der Bezeichnung KBW auch “dem Auskunftsbureau der deutschen Bibliotheken angeschlossen” (Notiz Warburgs vom 10. 7. 1917, The Warburg Institute, Archives, Schrank II).

Seit 1921 fungierte Warburgs Assistent Fritz Saxl (1890-1948) als stellvertretender Direktor. Da Warburg seit einigen Jahren schwer erkrankt war, hatte Saxl nicht nur die ständig wachsende Bibliothek, ihre Besucher, die Gäste und die Veranstaltungen, sondern darüber hinaus als Herausgeber auch zwei umfangreiche Schriftenreihen zu betreuen, die Reihe der “Vorträge” und jene der “Studien der Bibliothek Warburg”. Saxl, so erinnert sich seine Kollegin Gertrud Bing, fand jedesmal, wenn er selbst über ein bestimmtes Thema kein Buch schreiben wollte, einen Autor, der es an seiner Stelle tat:

He has also been called a slave-driver (and this only half in jest; but it is true that without his insistence many books would never have been written. The secret of his success was not only that he asked questions to which he himself urgently wanted answers, but that he took it for granted that others were just as anxious to help to answer them. The result shows that he channelled an interest which had lain dormant or been dispersed; its extent was disclosed only in the process of making it explicit (Bing 1957, 13).

In rascher Folge wurden in den beiden durch B.G. Teubner, Leipzig/Berlin, verlegten Publikationsserien der Öffentlichkeit die Forschungsergebnisse des Hamburger Instituts zugänglich, Bücher, welche, wie die Erfolgsgeschichte der Nach und Neuauflagen, der Reprints und Übersetzungen ausweist, vielfach bis heute aktuell oder aber historisch als Meilensteine der Wissenschaft in der Diskussion geblieben sind. Innerhalb nur eines Jahrzehnts, zwischen 1922 und 1933, konnten neben Einzelpublikationen, darunter die zweibändige Ausgabe der Gesammelten Schriften Warburgs, zwanzig Bände der Reihe “Studien” sowie neun Vortragsbände vorgelegt werden. Unter den Verfassern finden sich – neben dem Philosophen Ernst Cassirer und dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky, die der Bibliothek als spiritus rectores und Hausautoren aufs engste verbunden waren – so namhafte Gelehrte wie die Historiker Percy Ernst Schramm, Alfred Doren und Hans Liebeschütz, die Kunsthistoriker Walter Friedlaender, Adolph Goldschmidt, Jacques Mesnil, Gustav Pauli, Julius von Schlosser, Hubert Schrade, Wolfgang Stechow oder Hans Tietze, Altphilologen wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Eduard Norden und Richard Reitzenstein, Orientalisten wie Hellmut Ritter, Religionshistoriker wie Franz J. Dölger und Rudolf Eisler, Literarhistoriker wie Karl Vossler, Rechtshistoriker wie Conrad Borchling und zahlreiche andere.

Die Vielfalt der vertretenen Disziplinen war für die Bibliothek Warburg Programm. Denn sie widmete sich, was ihre Sammlungen (Bibliothek und Photoarchiv) und ihre Forschung betraf, einem einzigen Thema, dem Problem des Nachlebens der Antike, ein Schwerpunkt, der einen äußerst weiten Fragehorizont aufwarf. Denn es ging, wie Saxl in Anlehnung an Warburg im ersten Band der Vorträge ausführte, um die Beantwortung der Frage “nach Ausbreitung und Wesen des Einflusses der Antike auf die nachantiken Kulturen” (Saxl [1923] 2023). Antworten auf diese für die Historie der europäischen Kultur zentrale Fragestellung, konnten nur durch die gemeinsame Anstrengung all jener Disziplinen gefunden werden, die die Geschichte dieser Kultur in ihren unterschiedlichen Aspekten – Religion, Kunst, Recht und Philosophie – zum Gegenstandsfeld ihrer Forschung gewählt hatten. Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft verlangte die Nicht-Beachtung der herkömmlichen Grenzen der Einzeldisziplinen, er drang auf deren Integration, denn die Kultur als Lebenszusammenhang war in seinen Augen unteilbar, was allemal dann deutlich wurde, wenn sich die Wissenschaft von einem übergreifenden Problem, wie Warburg es nannte, “kommandieren” ließ.

So war er als Kunsthistoriker z.B. bei der Suche nach Erklärungen für die ihrem Gehalt nach verschlossenen und bis dahin folglich unverstandenen Fresken im Palazzo Schifanoja in Ferrara auf die für die Renaissancekultur grundlegende Bedeutung der Astrologie gestoßen, ein Forschungsfeld, das von seinem Fach, das überwiegend stilkritisch verfuhr und Kunst­werke bevorzugt nur auf ihren Kunstcharakter hin befragte, weit entfernt lag. In einem berühmt gewordenen Vortrag war es Warburg 1912 gelungen (Warburg [1912] 1932), das rätselhafte Freskenprogramm fast vollständig zu entschlüsseln. Indem er nach dem Belang und der Funktion, dem Was der Darstellung, fragte und bei der Beantwortung jedwede “grenzpolizeiliche Befangenheit” überwand, stieß er schließlich auf jene lange, an Schrift- und Bildquellen reiche Überlieferungskette der Astrologie, die für das Verständnis der Wandbilder unabdingbar war. Nun ließen sich die Gestalten an den Wänden identifizieren und das Programm in seiner Abfolge der Monatsdarstellungen lesen. Wenn die Kenntnis dieser Tradition, die zeitlich nicht nur bis in die Antike, sondern geographisch zugleich auch über Kontinente und Kulturen hinweg reichte, einen Schlüssel für die Interpretation darstellte, dann, so Warburgs Folgerung, konnte nicht länger die Untersuchung einer Kultur, die zentral auf der “Erneuerung der heidnischen Antike” gründete, ohne Beachtung dieser Grundlagen untersucht werden.

Bild und Wort

Seine Praxis der Befragung eines Kunstwerks nannte Warburg, einen der älteren Kunstliteratur bereits geläufigen Ausdruck aufgreifend, Ikonologie (Bildkunde), ein Begriff, der sich aber über den spezifischen Methodenaspekt hinaus wohl auch insofern als richtungsweisend für sein Programm empfahl, weil darin das Bild und das Wort (eikon und logos), demnach die beiden zentralen symbolischen Ausdrucksformen der Kultur, einander direkt verbunden waren. Mit dieser Maßgabe hat sich Warburg weit von der Kunstgeschichte seiner Zeit entfernt. Indem er, geleitet von neuen Fragestellungen, für eine notwendige Erweiterung des Gegenstandsfeldes seines Faches plädierte und zugleich einen neuen Zugang empfahl, bestimmte er die Kunstgeschichte als Teil der Kulturwissenschaft, sein eigenes Arbeitsfeld als kunstgeschichtliche Kulturwissenschaft. Deren Aufgabe konnte es nicht länger sein, ausschließlich die Werke der bildenden Kunst zu untersuchen, sondern, weitergehend, sämtliche Äußerungsformen der Gattung Bild zu behandeln, als deren nobilitierteste und elaborierteste, keineswegs jedoch vornehmliche, das Kunstwerk zu gelten hatte. Dazu heißt es in einer Notiz Warburgs: “Ueber die Kunstwerkgeschichte zur Wissenschaft von der bildhaften Gestaltung” (Notiz vom 29. 11. 1925 in "Notizen 1925/26", 16). Konsequent verstand er sich nachdrücklich als Bildhistoriker, dem die Erforschung der Geschichte dieses Mediums und seiner grundlegenden Funktion als weltdeutende Orientierungshilfe des Menschen aufgegeben war.

Dieses Verständnis lag als Konzept sowohl der Büchersammlung als auch den Forschungen der Bibliothek Warburg zugrunde:

Die Bibliothek Warburg ist sowohl Bibliothek wie Forschungsinstitut. Sie dient der Bearbeitung eines Problems, und zwar so, daß sie erstens durch Auswahl, Sammlung und Anordnung des Bücher und Bildmaterials das Problem, das sie fördern will, darstellt und zweitens die Resultate der Forschungen, die sich auf dieses Problem beziehen, veröffentlicht. Das Problem ist das vom Nachleben der Antike. Die europäischen wie die vorderasiatischen Kulturen der christlichen Zeit haben das Erbe an geprägten Formen, das die Antike hinterließ, übernommen, und zwar auf allen Gebieten, sei es in der Kunst, sei es in den Naturwissenschaften oder auf dem Gebiet der religiösen und literarischen Formen. Unsere Aufgabe ist einmal die geschichtlichen Tatsachen der Überlieferung zu untersuchen, die Wanderstraßen der Tradition aufzuzeigen, und zwar so allseitig als möglich, dann aber aus solcher Erkenntnis allgemeine Schlüsse auf die Funktion des sozialen Gedächtnisses der Menschheit zu ziehen: Welcher Art sind die von der Antike geprägten Formen, daß sie nachleben? Warum kommt es in bestimmten Zeiten zu der Erscheinung einer ‘Renaissance’ der Antike, während andere Epochen, denen dasselbe Bildungserbe eignet, es nicht zu ihrem lebendigen Besitz machen? (Saxl [1930] 2023).

Dem Bild, so Saxl weiter, komme im Rahmen der Problemsammlung, als die sich die Bibliothek eher denn als Bücherreservoir begreife, eine zentrale Stellung zu:

Wie aber Warburg selbst durch das Studium der Florentiner Kulturgeschichte auf die astrologischen Bildquellen als einen der wichtigsten Träger des antiken Erbgutes geführt wurde, so sammelt auch die Bibliothek die Bild und Textdokumente der Astrologie als Material für das Studium der Wandlung antiker Mythologeme. Dadurch erfährt der Begriff der Bildgeschichte eine Erweiterung, indem das [Bild] über seinen künstlerischen Gehalt hinaus zur religions und wissenschaftsgeschichtlichen Quelle wird (Saxl [1930] 2023, 356).

Ein zentrales Warburg-Motto in diesem Zusammenhang lautete “Das Wort zum Bild”. “Das Wort zum Bild ist die Devise unserer Bibliothek”, so Warburg in seinem Festwesen-Vortrag vor der Handelskammer Hamburg am 14. April 1928 (Notizheft Handelskammer, The Warburg Institute, Archives, 12.27 u. 98.3.1; Gombrich 1966, 20). Für den Kunst und Kulturhistoriker meinte dies, in den Archiven den schriftlichen Quellen, den literarischen und historischen Zeugnissen einer Kultur nachzuspüren und sie zur Erhellung der Kunstwerke heranzuziehen, sei es als ein zugrundeliegendes (Auftraggeber) Programm, sei es zur Veranschaulichung des sozialen und politischen Hintergrundes. Fast formelhaft, zugleich aber immer in bewußter methodischer Absicht hat Warburg die Fügungen “Wort und Bild” oder “Bild und Wort” benutzt; so etwa im Titel seines großen Reformations-Aufsatzes, wenn es dort heißt Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), so wenn er für den Ästhetikkongress 1930 als Thema die Behandlung von Wort und Bild vorschlug (Siehe Vierter Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Hamburg, 7.-9. Oktober 1930. Noack 1931, 1 u. 14). Auch der Gliederung und Aufstellung der Bibliothek Warburg lag diese Wendung als Konzept zugrunde: Den vier Geschossen des Gebäudes entsprechend folgte der ersten Ebene mit dem Stichwort ‘Bild’ (Kunstgeschichte), jene zur ‘Orientierung’ (Religionswissenschaft, Philosophie), dieser dann die ‘Wort’ Abteilung (Klassische u. neu­zeitliche Literatur), dem sich das als Handlung ‘Dromenon’ (Geschichtswissenschaft) bezeichnete Stockwerk anschloß (Zur Bücheraufstellung in der Bibliothek Warburg siehe von Stockhausen 1992, 75. Salvatore Settis einer anderen Reihenfolge ausgeht Orientierung > Bild > Wort > Handlung: Settis 1991, 15). Eine Ordnung, der geringfügig abgewandelt, auch heute noch jene der Bibliothek des Warburg Institute folgt (Trapp 1986, 172).

Mittels Bild und Wort verschafft sich das menschliche Bewußtsein Ausdruck. Warburg bestimmte diese Ausdrucksformen als wesentlich zusammengehörig, weil erst im Blick auf beide Formen, der jeweilige Leit und Leidfaden (“Notizen 1925/26”, 43, anm. 12) einer Kultur auszumachen sei. Und gerade der Vergleich dieser beiden Formen der (Ent)Äußerung macht entschieden aufmerksam auf die Sonderrolle des Bildes, das sich dem Wort gegenüber als unabhängige, autarke Einheit erweist, sich der Übersetzung in Worte zu Teilen widersetzt und immer in einer doppelten Funktion zu agieren scheint, indem es einerseits ‘auf den ersten Blick’ verständlich ist, sich aber andererseits stets ein mythisches Eigenleben zu bewahren scheint (Bredekamp 1991, 5). In formelhafter Verkürzung notierte Warburg in diesem Zusammenhang als notwendige Aufgabe die Erforschung der “Seelengeographie der bildhaften Ursachensetzung” (Notiz vom 17. 10. 1925 in “Notizen 1925/26”, 16, anm. 12). Der Idee der Zusammenschau, der Synopse von Bild und Wort, war der Lesesaal seiner Bibliothek in Hamburg und ist jener in London noch heute als ‘Denkraum’ verpflichtet.

Porträt aus Büchern

In aphoristischer Kurzfassung hat Warburg seine Bibliothek im Jahr 1929 definiert als ein “universalgenetisches Orientierungs-Institut vom abstrakten Problem bis zur praktischen Lesehilfe” (“Tagebuch der KBW”, Bd. VIII, unter dem Datum des 4. August 1929, in Wuttke 1989, 247). Viele Benutzer der Bibliothek Warburg haben ihr diese hervorragende, einmalige Doppelfunktion bescheinigt; was letztere der Sache und dem Anspruch nach bedeutete, haben Saxl und Bing Ende 1929 in einem Dossier über die Arbeit der KBW erläutert:

Durch die Leitung von Professor Warburg hat der [Besuch und die Arbeit im] Lesesaal in den beiden letzten Jahren einen erstaunlichen Umfang angenommen. […] Während früher die Leser im wesentlichen doch nur nachmittags kamen, sind die Leser jetzt den ganzen Tag da und wir wollen ihren Bedürfnissen dahin entgegenkommen, dass wir täglich bis 9 Uhr abends offen haben. […] Unser Ziel ist, dass jedes im Lesesaal bestellte Buch binnen 5 Minuten in die Hand des Lesers kommt. [...] Wir beabsichtigen, nicht nur unsere Verbindung mit den auswärtigen Bibliotheken durch den auswärtigen Leihverkehr, sondern vor allem auch mit den Hamburger Bibliotheken systematisch auszubauen. Der Leser, der bei uns arbeitet, soll sich, soweit es von uns abhängt, ganz seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hingeben können, nicht seine Zeit damit verlieren müssen, die Bücher sich mühsam erst aus allen Bibliotheken heranzuholen […]. Gerade weil wir dem einzelnen Leser vollkommen dienen wollen, wollen wir aber auch in Hinkunft unseren Leserkreis nicht allzu stark erweitern. Wir bleiben bei dem Prinzip, in erster Linie nur solche Leser heranzuziehen, die direkt oder indirekt an der Erforschung unserer Probleme beteiligt sind (Unveröffentlichtes Dossier, Ende 1929, London, The Warburg Institute, Archives, TS-Durchschlag, S.1 f, Schnellhefter “Publikation des Nachlass”).

Vor allem auch die Publikationen des Hamburger Instituts legen vom erfolgreichen Wirken dieses Unternehmens beredtes Zeugnis ab. In zahlreichen zeitgenössischen Besprechungen und Würdigungen der Bibliothek kommt dies zum Ausdruck. So auch in jener des Religionshistorikers Georg Stuhlfauth, der in einer ausführlichen Sammelrezension der bis 1926 vorgelegten Schriften neben dem großen fachlichen Ertrag auch die ansprechende Ausstattung der Bücher hervorhebt:

Hat man die bisher erschienenen Bände zusammen vor sich, so ist man angenehm berührt von ihrer äußeren Form [Abb. 5]. Die Verschieden­farbigkeit des Umschlages – gelb bei den Vortragsbänden, grau bei den Studien – läßt die beiden Reihen gut und unmittelbar unterscheiden; Dickleibigkeit ist für den einzelnen Band vermieden; sie hintanzuhalten ist nicht bloß der zweite Band der Vorträge in zwei Teile zer­legt, sondern auch bei mehreren der Studien (II, V, VI) ein größeres dem Quart angenähertes Format gewählt. Diesen Maßnahmen verbindet sich eine vortreffliche Gesamtausstattung; Papier, Druck, Abbildungen: alles zeigt Geschmack, Gediegenheit und ehrliche Treue. Wichtiger ist, daß, was das Äußere betrifft, das Innere in vollem Maße hält. Bleiben die kommenden Bände auf der geistigen Höhenlage, die in den erschienenen erreicht ist, so darf der Name Warburg, den auch diese ‘Bibliothek’ an der Spitze führt, sich zwiefacher Ehre rüh­men (Stuhlfauth 1926).

5 | Umschlag “Studien der Bibliothek Warburg” Bd. 6, 1925.

Bemerkenswert, daß der Rezensent, dessen eigenes Organ typographisch eher konservativ aufgemacht daherkommt, die äußere Gestaltung der KBW – Publikationen erwähnt – offensichtlich hob diese sich von der gewohnten Präsentation wissenschaftlicher Literatur positiv ab, ein Urteil, das auch heute noch nachzuvollziehen ist. Die Reihengestaltung, gleichförmig für die broschierten wie die gebundenen Ausgaben, überzeugt durch Sachlichkeit und Schnörkellosigkeit, durch ein klassisch-schlichtes, ja strenges Layout, das auf Zierat verzichtet: Die Titelzeilen des Umschlags, in Antiqua-Versa­lien gesetzt und durch zwei waagerechte Doppelleisten gegliedert, sind wie zu einem Titel­schild im oberen Drittel zusammengezogen; in Verbindung mit der gedämpft-zu­rückhaltenden Farbigkeit der Kartons und des Leinens treten die Bände als behutsam modern gestaltete Bücher ihrer Zeit vor Augen, als Produkte jener gerühmten Tendenzen der Kultur der zwanziger Jahre, die den üblichen Schmock des späten 19. Jahrhunderts weit hinter sich gelassen haben. Die Bevorzugung der Antiqua (als lateinischer Schrift) vor der als deutscher Schrift apostrophierten Fraktur wird man als programmatisch ansehen können, verbindet diese sich doch aufs beste mit dem humanistischen Gedanken- und Ideengut, dem man sich auch in der Sache verpflichtet hatte. Zugleich war damit eine Voraussetzung geschaffen, die leichtere Aufnahme der Bände im Ausland zu gewährleisten, hätte doch die dort eher befremdende, weil ungewohnte Frakturschrift eine zusätzliche Lesehürde dargestellt.

Mit der spezifischen Ausnahme der beiden 1932 publizierten Bände der Gesammelten Schriften Warburgs, die in feierlich blauschwarzes, goldgeprägtes Leinen gekleidet sind, verzichtete man im Übrigen auf allen Prunk und setzte auf eine schlicht-solide, gut durchdachte Ausstattung.

Nicht unerwähnt bleiben soll noch eine weitere Auszeichnung der Bücher der Bibliothek Warburg (wie nachfolgend auch jener des Warburg Institute), welche die er­wähnte Rezension übergangen hat, und zwar die mit großer Sorgfalt und Sachkenntnis, meist von Gertrud Bing erarbeiteten Personen und Sachregister sämtlicher Bände, die diese rasch und zuverlässig aufschließen helfen. Für Warburg gehörten solche Indices zum selbstverständlichen, leserfreundlichen Bestandteil eines wissenschaftlichen Buches, und immer, wenn er wieder einmal vergeblich nach einem Register Ausschau gehalten hatte, empfahl er, den betreffenden Band umgehend auf einen “Index der indexlosen Bücher” zu setzen, den gelegentlich zu veröffentlichen er sich vorbehielt.

Das Resümee der angeführten Sammelbesprechung endete mit folgenden Sätzen:

Blicken wir zurück, so bleibt uns zweierlei zu tun übrig: Dank zu sagen für die in der Bibliothek Warburg inkarnierte wissenschaftliche Tat und Glück zu wünschen zu dem wahrhaft großen wissenschaftlichen Ertrag, den sie in ih­ren Veröffentlichungen schon jetzt der wissen­schaftlichen Welt zugeführt hat. Angesichts der vorliegenden Bücher kann man nur von Herzen sprechen: Vivant sequentes! (Stuhlfauth 1926, 64).

Dieser Glück und Segenswunsch aus berufenem Munde ging in Erfüllung. Nicht nur kamen bis zum Jahr 1933 in rascher Folge weitere Bände der beiden Reihen heraus, sondern auch nach der Übersiedlung riß der Publikationsfaden nicht ab, wenn dies auch zunächst nur unter erheblich erschwerten Bedingungen gewährleistet war. Im Anschluß an den bereits zi­tierten, rassistisch getönten Angriff im “Völkischen Beobachter” war die Lage, die Schriften des Instituts weiterhin in Deutschland zu verlegen oder zu vertreiben so gut wie aussichtslos. Aus London berichtete Gertrud Bing brieflich am 22. Januar 1935, daß:

Die [deutsche] Buchhandlung, die unsere Publikationen in Hinkunft ausliefern sollte, sich ausserstande dazu erklärt (hat), und Teubner […] nicht mehr in der Lage (ist), irgendwelche Auslieferungen unserer Publikationen auch nicht der Bibliographie (nebst Rezensionsexemplaren) vorzunehmen (Wuttke 1989, 66).

Den neuen, jetzt in England verlegten wie den alten, noch lieferbaren Titeln lag bald ein lapidarer Hinweiszettel bei, dem zu entnehmen war, daß die “Veröffentlichungen der Bibliothek Warburg […] nicht mehr im Verlag von B.G. Teubner in Leipzig und Berlin, sondern im Verlage Cassell & Company Ltd., London (erscheinen), bei dem die neuen Ladenpreise zu erfragen sind”. Als letzte in Deutschland verlegte Schrift erschien als Band 19 der Studien, gedruckt bei Teubner, verlegt bei J.J. Augustin, Glückstadt und Hamburg, das Standardwerk über Dekane und Dekansternbilder von Wilhelm Gundel, das den Freunden Franz Boll und Aby Warburg zum Gedächtnis gewidmet ist. Teubner firmierte nurmehr als Drucker, die vormals gelegentlich als Drucker der Studien und Vorträge fungierende Firma jetzt als Verleger. Und so erschien 1938 auch der zweite (und zugleich letzte) Band der Bibliographie zum Nachleben der Antike nicht mehr in Deutschland und auf Deutsch, sondern in England und in englischer Sprache und im Selbstverlag des Insti­tuts (Meier, Newald, Wind 1938). Der ursprünglich bereits für 1934 angekündigte Band der “Studien”, der die Nummer 25 hätte tragen sollen, kam zwei Jahre später in London als Volume I der “Studies of the Warburg Institute” heraus (Salomon 1936). Mit diesem Band erfolgte der Übergang von der einen zur nachfolgenden Reihe. Der äußeren Aufmachung nach noch ganz ein Produkt der alten Serie, wies der Reihentitel jetzt zusammen mit dem neuen Instituts-Signet auf den Start der aktuellen Folge hin, deren Bände nach und nach überwiegend in englischer (oder französischer) Sprache verfaßt waren. Diese Reihe, der bald auch ein eigenes, nicht weniger ansprechendes, distinguiert nobles Äußeres gegeben wurde, wird neben anderen, zusätzlich gegründeten Serien, bis heute fortgesetzt und umfaßt inzwischen 42 Bände, editorisch vom jeweiligen Direktor des Instituts betreut.

Hatten die “Studies of the Warburg Institute” somit die “Studien der Bibliothek Warburg” abgelöst, so folgte den “Vorträgen der Bibliothek Warburg” als Sammelorgan das “Journal of the Warburg Institute” nach, eine Vierteljahreszeitschrift, die mit dem ersten Jahrgang 1937 ins Leben gerufen worden ist und bald auf Grund der engen Zusammenarbeit mit dem Cour­tauld Institute in Journal of the Warburg and Courtauld Institutes umbenannt wurde, das als Jahrgangsband bis heute erscheint, so daß inzwischen 55 Bände publiziert worden sind.

Nicht nur dem Geist, sondern auch den dort behandelten konkreten Themen nach führen die Publikationen des Warburg Institute die in Hamburg begründete Forschungstradition fort. So überrascht es nicht, wenn man in der Veröffentlichungsliste über Jahrzehnte hinweg Projekte verfolgt sieht, die einmal in Hamburg angestoßen worden sind. Ein eindringliches Beispiel dafür sind etwa die drei Publikationsstufen der Picatrix Handschrift, eines Handbuches der Astromagie (Kany 1989, 25), auf dessen historische Bedeutung Warburg hingewiesen und auf das zuerst Saxl 1912 in einem Aufsatz der Zeitschrift “Der Islam” Bezug genommen hatte (Saxl 1912, darin auch seiten 173 eine von Warburg verfaßte Anmerkung). Im Jahr 1933 erschien die von Hellmut Ritter besorgte Edition des arabischen Textes in der Reihe der “Studien” (Band 12), 1962 folgte als Band 27 der Studies die deutsche Übersetzung (von Hellmut Ritter und Martin Plessner), dann 1986 abschließend als Band 39 der Studies der von David Pingree edierte lateinische Text.

Die Publikationen beider Institute summieren sich mittlerweile auf über 200 Schriften, die in der Zusammenschau ein beeindruckendes Panorama internationaler, fächerübergreifender Gelehrsamkeit darstellen und die sich, in der Manier Giuseppe Arcimboldos betrachtet, zu einem Porträt aus Büchern formieren, dessen Profil bis heute deutlich erkennbar Warburgs Züge trägt.

6 | Ausstellung “Porträt aus Büchern”, November 1993, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.

1893, 1903, 1913, 1933, 1993. Falls Daten und Jahreszahlen Erinnerungsanlässe und Jubiläen sinnvoll begründen können, so gibt das Jahr 1993 in diesem speziellen Bezug reichlich Gelegenheit zur Rückschau: Vor einhundert Jahren erscheint Warburgs erste Schrift, seine Botticelli-Dissertation, die über die darin eröffneten Forschungsperspektiven auch als Gründungsschrift der späteren Bibliothek Warburg angesehen werden kann; vor neunzig Jahren notiert Warburg seine Idee zu einem kulturwissenschaftlichen Institut in der damals noch universitätsfreien Hansestadt Hamburg; zehn Jahre später stellt der Privatgelehrte Warburg als seinen Assistenten den österreichischen Kunsthistoriker Fritz Saxl ein, der sowohl der Bibliothek Warburg als auch dem Warburg Institute als Direktor vorstand und beide Einrichtungen maßgeblich geformt hat; das Jahr 1933 bedingt das Ende der einen und den Beginn des neuen Institutes, es erzwingt die Beendigung der glanzvollen Hamburger Ära und eröffnet die einzigartige neue Epoche in London, die nunmehr seit sechs Dezennien währt.

Aber auch das Jahr 1993 selbst hat inzwischen ein denkwürdiges Warburg-Datum geliefert, denn die Hansestadt hat im Sommer das ehemalige Bibliotheksgebäude in der Heilwigstrasse erworben, um es - nach Jahrzehnten sachfremder Nutzung - im Anschluß an die Restaurierung durch eine eigens gegründete Stiftung wieder als Forschungseinrichtung zu etablieren. Mit diesem Schritt ist ein Denkmal bewahrt und einem Denkraum nach sechzig Jahren wieder eine Perspektive eröffnet.

Und im (Rück)Blick auf die Bücher, der hier angelegen ist, läßt sich für London und Hamburg nicht besser schließen als mit den Worten des zitierten Vorredners: Vivant sequentes!

Bibliografische Referenzen
  • Bing 1957
    G. Bing, Fritz Saxl, 1890-1948, in D.J. Gordon (hrsg. von), Fritz Saxl 1890-1948. A Volume of Memorial Essays, London 1957, 1-46.
  • Bredekamp 1991
    H. Bredekamp, “Du lebst und thust mir nichts”. Anmerkungen zur Aktualität Aby Warburgs, in H. Bredekamp, M. Diers, Ch. Schoell-Glass (hrsg. v.), Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions, Hamburg 1991, 1-7.
  • Diers 1991
    M. Diers, Warburg aus Briefen. Kommentare zu den Briefkopierbüchern der Jahre 1905-1918, “Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg” 2, Weinheim 1991.
  • Gombrich 1966
    E.H. Gombrich, Aby Warburg zum Gedenken, “Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen” 11 (1966), 15-27.
  • Gombrich [1970] 1992
    E.H. Gombrich, Aby Warburg. Eine intelektuelle Biographie, aus dem Englischen von Matthias Fienbrock, Hamburg 1992.
  • Grolle, Schramm 1990
    J. Grolle, E. Schramm, Fritz Saxl. Die Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft, “Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte” 76 (1990), 147-167.
  • Heise 1947
    C.G. Heise, Persönliche Erinnerungen an Aby Warburg, New York 1947.
  • Kany 1989
    R. Kany, Die religionswissenschaftliche Forschung an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, Bamberg 1989.
  • Meier, Newald, Wind 1938
    H. Meier, R. Newald, E. Wind (eds.), A Bibliography of the Survival of the Classics. Second Volume: The Publications of 1932-1933, London 1938.
  • Noack 1931
    H. Noack (hrsg. von), “Beilagenheft d. Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft” 25, Stuttgart 1931.
  • Pinder 1939
    W. Pinder, Deutsche Kunstgeschichte, in Deutsche Wissenschaft, Arbeit und Aufgabe, Leipzig 1939.
  • Salomon 1936
    R. Salomon, Opicinus de Canistris. Weltbild und Be­kenntnisse eines avignonesischen Klerikers des 14. Jahrhunderts, London 1936.
  • Saxl 1912
    F. Saxl, Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und im Okzident, “Der Islam” 3 (1912), 151-177.
  • Saxl [1923] 2023
    F. Saxl, Die Bibliothek Warburg und ihr Ziel, “Vorträge der Bibliothek Warburg 1921-1922”, Leipzig/Berlin 1923, 1-10, jetzt in F. Saxl, Die Bibliothek Warburg und ihr Ziel, “La Rivista di Engramma” 198 (gennaio 2023).
  • Saxl [1930] 2023
    F. Saxl, Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg, in Forschungsinstitute. Ihre Geschichte, Organisation und Ziele, hrsg. von L. Brauer, A. Mendelssohn Bartholdy, A. Meyer, Hamburg 1930, jetzt in F. Saxl, Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg, “La Rivista di Engramma” 198 (gennaio 2023).
  • Settis 1991
    S. Settis, Zur Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Empfehlungen für eine Heimkehr, in H. Bredekamp, M. Diers, Ch. Schoell-Glass (hrsg. v.), Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions, Hamburg 1990, 115-123.
  • von Stockhausen 1992
    T. von Stockhausen, Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg. Architektur, Einrichtung und Organisation, Hamburg 1992.
  • Stuhlfauth 1926
    G. Stuhlfauth, A. Warburg und die Warburg-Bibliothek, “Theologische Blätter” 5, 3 (1926), 55-64.
  • Trapp 1986
    J.B. Trapp, Aby Warburg, his Library and the Warburg Institute, “Theoretische Geschiedenis” 13 (1986), 169-186.
  • Warburg [1912] 1923
    A. Warburg, Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara, in A. Warburg, Gesammelte Schriften, Leipzig/Berlin 1932, 459 ff.
  • Warburg 1953
    E.M. Warburg, The Transfer of the Warburg Institute to England in 1933, “The Warburg Institute Annual Report 1952-1953”, 13-16.
  • Wuttke 1989
    D. Wuttke (hrsg. von), Kosmopolis der Wissenschaft. E.R. Curtius und das Warburg Institute. Briefe 1928 bis 1953 und andere Dokumente, Baden-Baden 1989.

English abstract

In this contribution, excerpted from the book edited by Michael Diers, Porträt aus Buchern (Hamburg 1993), Michael Diers explains the history of the Warburg Institute after its founder’s death. The author reconstructs the multifaceted history of the research institute by questioning sources of the time: from private and unpublished letters to reviews. Diers also reconstructs the fundamental history of the KBW's publishing activities through its most important series and titles.

keywords | Fritz Saxl; Gertrud Bing; Warburg Institute; Warburg Bibliothek; Studien; Vorträgen.

Per citare questo articolo / To cite this article: M. Diers, Porträt aus Büchern. Stichworte, “La Rivista di Engramma” n. 198, gennaio 2023, pp. 149-169 | PDF of the article 

doi: https://doi.org/10.25432/1826-901X/2023.198.0021