"La Rivista di Engramma (open access)" ISSN 1826-901X

164 | aprile 2019

9788894840599

Der „Geist des Archimedes“

Die Bedeutung von Peter Behrens für die Holländische Architektur

Herman van Bergeijk

English abstract

Immer versöhnlich sein kann tragisch werden. Die Synthese, weißt Du, ist die große Versuchung unserer Zeit.
Selbst der Form nach bin ich ziemlich [...] sagen wir synthetisch.
J. Havelaar, Democratie

Ultimately […] for Behrens, a man of many parts outside architecture as well as in it (painter, typographer, interior decorator, product designer) was a far more accomplished and well-rounded aesthetic personality, by comparison with whom, Perret was a narrow, blinkered monomaniac professional; history must redress the balance between them sooner or later.
R. Banham, The Perret Ascendancy

Am 20. Mai 1922 meldete die „Nieuwe Rotterdamsche Courant“ (Neue Rotterdamer Zeitung), dass die Zahl der Besuche von namhaften Ausländern, die im Winter bereits nach Holland gekommen seien, noch weiter zunehmen werden werde. Am Abend des 24. Mai, einem Mittwoch, hielt Peter Behrens im Versammlungsaal des Rotterdamsche Kring am Eendrachtsweg 12 für den Verein Opbouw einen Vortrag. Zwei Tage später, am Abend des 26. Mai 1922 um halb neun Uhr, trug Behrens jedoch denselben Vortrag in Amsterdam im Gebäude Heystee Smit an der Herengracht 545 noch einmal vor. Am selben Ort hatte einen Monat zuvor der englische Stadtplaner Raymond Unwin über den Städtebau in seinem Land einen Vortrag gehalten. Der Vortrag von Behrens war allerdings anders geartet. Der Titel lautete Werbender Wert der Baukunst. Beide Male zeigte Behrens Dias. Die Initiative für die Anfrage an Behrens kam vom Rotterdamer Architektenverein Opbouw. Bei dem Vortrag war auch der allgemein sehr geachtete Architekt H.P. Berlage zugegen, der extra aus seinem Wohnort Den Haag nach Rotterdam gekommen war, um Behrens zu begrüßen. Bereits ein Jahr zuvor hatte er dies bei einem für denselben Verein gehaltenen Vortrag von Erich Mendelsohn getan. Berlage hatte damals nicht viel zu tun. Seine wichtigsten Projekte, wie das Gemeindemuseum in Den Haag, lagen still. In der Zeitung wurde Mendelsohn als stattliche Erscheinung mit einem ebenmäßigen und energischen Gesicht beschrieben. Er trug auf einem Auge eine schwarze Klappe (Algemeen Handelsblad 1922). Anlass für den Vortrag war eine Ausgabe der Zeitschrift „Wendingen“, die über Mendelsohns Arbeit erschienen war. J.F. Staal hatte zu dieser Ausgabe eine kurze Einführung geschrieben. In seinem Vortrag präsentierte Mendelsohn vor allem seine eigenen Bauten sowie Zeichnungen und hielt seine Ansichten zur Baukunst zurück. Letztere sollte er dann zwei Jahre später vortragen.

Den Vortrag in Amsterdam hielt Behrens vor Mitgliedern der Holländischen Architektenkammer und des Vereins Architectura et Amicitia. Behrens wurde am Bahnhof von einer speziellen Abordnung erwartet, die aus H.A. van Anrooy, D.F. Slothouwer und Jan Wils bestand. Behrens kannte keinen von ihnen. Bemerkenswert war das Erscheinen von Jan Wils, der nämlich kein Architekt aus Amsterdam war. Er wollte offensichtlich seinen älteren Kollegen kennenlernen, da er seine Arbeit ziemlich gut kannte und bei der Siedlung Papaverhof in Den Haag mit einem Parzellierungsschema von Behrens experimentiert hatte [Abb. 1]. Es sollte jedoch so kommen, dass Wils von Behrens’ Vortrag enttäuscht war (Nieuwe Rotterdamsche Courant 1922b).

1 | J. Wils, Papaverhof, Den Haag, 1919.

Peter Behrens sollte etwa vierzig Jahre aktiv sein. Er entwarf sein erstes eigenes Haus im Jahr 1900 und starb 1940. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges brach eine neue Periode an, eine neue Zeit, zu der Behrens einen Beitrag leisten wollte. Der spätwilhelminische Behrens entwickelte sich zu einem „republikanischen“ Architekten mit anderen Ansichten und Auffassungen, die er sowohl in Worten als auch in Bildern zum Ausdruck brachte. Er spürte die Notwendigkeit, sich zu erneuern und zu aktualisieren. Zusammen mit seinem damaligen Mitarbeiter Heinrich de Fries schrieb Behrens das Büchlein Vom sparsamen Bauen (zu diesem Buch, S. Jaeger 2001, 23-29; Michieletto 2011; Nieuwe Rotterdamsche Courant 1925). Obwohl diese Arbeit in Deutschland keine uneingeschränkt günstige Besprechung erfahren hatte, wurde sie in Holland mit durchaus beträchtlichem Interesse gelesen. Eine Besprechung erfolgte im „Bouwkundig Weekblad“ (Wochenblatt für Architektur) und zwar durch den Amsterdamer Architekten D.F. Slothouwer und den Haarlemer Architekten J.B. van Loghem. Der letztgenannte sollte später Mitglied vom Opbouw werden. Slothouwer weist auf zwei Besonderheiten hin, die Behrens und de Fries zur Sprache bringen: die Mischung von Einfamilienhäusern und Geschoßwohnungen sowie die Anordnung der Wohnungen zu Hausgruppen. Nach Slothouwer verdienen diese Ansichten durchaus allgemeine Aufmerksamkeit:

Eine neue Zeit bricht an; sie wird durch die kräftige Stimme dieses besonderen Mannes mit eingeläutet, der bereits so viel Großes geleistet hat (Slothouwer 1918).

Nach van Loghem sollten die Holländer von den Deutschen lernen, um auf der Suche nach der monumentalen typisierten Stadt nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Wir werden sonst beschämt dastehen und müssen zugeben, dass die monumentale typisierte Stadt nicht nur gut, sondern auch von einer solchen Schönheit ist, wie wir uns das bis heute gar nicht vorstellen konnten“. Die Botschaft van Loghems war deutlich:

Weg mit all den kleinen, den säuerlichen Gehirnen von fossilen Beamten entsprossenen Stadterweiterungsplänen, weg mit den kahlen Pflasterflächen und armseligen Parzellierungen, wo der piefige Bürger durch einen tapferen Architekten bewerkstelligt sein zuhause findet. Und dann ehrlich zugeben, dass wir doch wieder bei den erniedrigten und vollständig deprimierten Deutschen landen, um von ihnen zu lernen, dass wir wie alle Architekten nur armselige Bastler sind, die von Städtebau keine Ahnung haben (van Loghem 1918).

Das genannte Buch spielte auch beim Wohnungskongress von 1918 eine bedeutende Rolle und ein paar Jahre später wurde noch einmal auf die Lösungen verwiesen, die Behrens und de Fries vorgeschlagen hatten (Leeuwarder Courant 1920). Behrens, der sich vier Jahre zuvor für die individuelle künstlerische Freiheit beim Entwerfen ausgesprochen hatte, wurde nun zur Befürwortung der Typisierung benutzt (Göldner 1955; Broch 2005). Am 14. Februar 1918 hielt J. van der Waerden, Direktor der Amsterdamer Bau- und Wohnungsbehörde, vor den Mitgliedern des Vereins Architectura et Amicitia einen Vortrag über Typisierung beim Hausbau. Dieselbe Art von Ansichten hatte er auf dem Wohnungskongress des Nationalen Wohnungsrats vertreten, einer Veranstaltung, die am 11. und 12. Februar 1918 im kleinen Konzertsaal des Amsterdamer Concertgebouw (Konzertgebäudes) stattgefunden hatte. Damals hatten viele Architekten schwerwiegende Bedenken, weil sie der Auffassung waren, dass die vorgetragenen Auffassungen zur Typisierung dem Architektenberuf den Todesstoß versetzen würden. Nur durch die beruhigenden und optimistischen Worte von Berlage konnte diese Gruppe besänftigt werden. Berlage wies darauf hin, dass die Einführung der Typisierung nur eine Schwerpunktverlagerung bedeuten würde. Anstatt auf das einzelne Haus sollte sich die Aufmerksamkeit des Architekten nun vor allem auf die städtebauliche Gruppierung richten.

Die Veränderungen in Behrens’ Formensprache treten bei seinem Verwaltungsgebäude für Hoechst in Frankfurt besonders deutlich zutage, ein Gebäude, das vielleicht noch mehr als seine Berliner Gebäude für die AEG als eine Kathedrale, nicht der Arbeit, sondern der Verwaltung betrachtet werden kann. ”Die Modernität des Technischen Verwaltungsgebäudes” – auf diese Weise wurde zumindest noch Jahrzehnte danach argumentiert – „besteht gerade in der Historizität oder genauer gesagt: in der Verbindung und Gleichstellung des Historischen und Zeitgeschichtlichen zu einer neuen Synthese“ (Buderath 1990, 19). Synthese, das ist der Begriff, mit dem Behrens auf einfache Weise seine Fortschrittlichkeit und Rückschrittlichkeit verhüllen konnte (Hoeber 1919). Er wollte Romantik mit Klassik verbinden und war sicher nicht der einzige deutsche Architekt mit diesem Ziel. Im Kielwasser von Behrens sollte der bereits genannte Erich Mendelsohn bei seinem Hollandbesuch im Jahr 1923 dasselbe ankündigen. Er ging jedoch etwas weiter. Bei seinem Vortrag vor dem „Haagsche Kunstkring“ (Kunstverein Den Haag) mit dem Titel Die internationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens und dem Untertitel Dynamik und Funktion behauptete er, so berichtete Jan Wils, dass sich das soziale Geschehen in zwei Richtungen auflöse, „horizontal und vertikal, wovon das Vertikale der Kapitalismus ist, der nirgendwo hin führt“. Das Horizontale ist der immerwährende Drang zum Fortschritt, zur Entwicklung. Die Straße gab das Bild des ruhelosen Verkehrs, der Architekt musste dem die Architektur gegenüberstellen. Das Gebäude musste als Wellenbrecher aufgefasst werden. Er sah tatsächlich in Amsterdam das Vorherrschen des Gefühls und in Rotterdam das der Vernunft. Es musste nach einem Mittelweg gesucht werden. Wils kam zu dem Schluss, dass dies ein wichtiger Vortrag gewesen sei (Wils 1923).

Ein ausführlicher, von Wils verfasster Bericht über den Vortrag von Behrens findet sich in „Het Vaderland“ (Das Vaterland). Behrens begann damit, auf den Wert des Plakats und der Annonce für Reklamezwecke einzugehen, Themen, die ihm bereits einige Zeit am Herzen lagen (Krausse 2013). Der Künstler und der Architekt konnten dabei einen großen Beitrag leisten, da nun die „Fürsten von Handel und Industrie“ es als nützlich erachteten, dem Äußeren ihres Unternehmens eine besonders expressive Form zu geben. Während vor dem ersten Weltkrieg kostbare Materialien selbstverständlich waren, lag nun die Betonung viel mehr auf der Verwendung von Backstein. Behrens besprach die verschiedenen Bürogebäude, die er entworfen hatte. Darüber, wie er die Typisierung beim Mannesmanngebäude angewendet hatte, welches er immer noch als beste Lösung betrachtete. Er sprach über die Qualität der Läden und ihrer Produkte, wobei er behauptete, dass es in dieser Hinsicht noch viel zu tun gäbe. Er wandte sich gegen die Idee des Turmhauses, von dem er viele „städtebauliche Probleme“ erwartete, aber er wollte auch kein endloses Weiterwuchern der Stadt (Het Vaderland 1922). Er wollte auf jeden Fall keine Stadtteile, die wie kleine Städte aussahen:

Dem Unwesen der Sentimentalität und der falschen Romantik im Aufbau von Kleinsiedlungen nach dem Muster kleiner mitteldeutscher und niederdeutscher Städte muß mit allem Nachdruck entgegengetreten [...] werden (Behrens, de Fries 1918; Hoeber 1917).

Dieses Thema wird Kromhout interessiert haben, da er ein Jahr zuvor in einem Buch über Arbeiterwohnungsbau einen Artikel über Stadt- und Dorferweiterung publiziert hatte (Kromhout 1921). Dieser bot ein sehr viel breiteres Spektrum über den Stand des sozialen Wohnungsbaus als die oben genannte Ausgabe der Zeitschrift „Wendingen“. In seinem Vortrag lobte Behrens die Baukunst Rotterdams, „die auf ihn so einen echten holländischen Eindruck gemacht hatte“. Er beneidete die Architekten um ihren „schönfarbigen Backstein“, umso mehr als er nun selbst viel in diesem Material entwerfe. In Rotterdam wurden zu dieser Zeit viele Wohnungsanlagen errichtet und es entstanden mehrere monumentale Bürogebäude, die aber die Skyline der Stadt kaum beeinträchtigten. Was Behrens vom Turmhaus hielt, wurde 1922 in der Zeitschrift „De Bouwwereld“ (Die Bauwelt) noch einmal erklärt. Er wies auf die Beziehung hin, die mit der Umgebung hergestellt werden musste. Er fand, dass ein Wolkenkratzer nicht als ein freistehendes Gebäude gesehen werden dürfe und argumentierte: „Nur dort wird ein solches hohes Gebäude eine gute Wirkung haben, wo es durch niedrige Teile mit seiner Umgebung verbunden werden kann. Falls ein Wolkenkratzer nicht mehr als ein Prisma oder Zylinder ist, dient er alleine dazu, so viel Geschossfläche wie möglich zu vermieten, dann wird er auf klobige Weise seine Umgebung verletzen“ (De Bouwwereld 1922).

In der Zeitschrift „Bouwkundig Weekblad“ finden wir zum Amsterdamer Vortrag im Vergleich zu dem in Rotterdam einen noch ausführlicheren Bericht. Dieser stammt vom Redakteur J. P. Mieras, der im Detail einige von Behrens gezeigte Lichtbilder erwähnte. Danach eröffnete Behrens seinen Vortrag mit einigen Abbildungen des Pariser Stadtplanes, um zu zeigen, wie diese Stadt vom „Verlangen des Kaisers, durch die großmaßstäbliche monumentale Anlage Bewunderung für die kaiserliche Macht abzunötigen“, bestimmt war. Darüber hinaus zeigte Behrens Lichtbilder des Wertheimbaus am Leipziger Platz in Berlin und des Warenhauses von Wilhelm Kreis in Dortmund, um seine Argumentation über Warenhäuser zu bekräftigen. Er zeigte auch das nach seinem eigenen Entwurf entstandene Ladengeschäft der A.E.G. an der Budapester Straße in Berlin und das Schuhgeschäft Salamander von August Endell. Im Anschluss zeigte er:

Das Verwaltungsgebäude der Continental-Kautschuk-Guttapercha-Companie [sic] in Hannover, den (aus jüngster Zeit stammenden) Entwurf für ein Verwaltungsgebäude der Rombach-Hütte in Hannover und das im Bau befindliche Gebäude der Hötcke [sic, Hoechst] Farbenfabrik, das vollständig in Backstein ausgeführt werden sollte.

Behrens wies darauf hin, dass er hier unter Einbeziehung von Musikern Versuche vornehme, um mithilfe einer Glocke die Proportionen des Ganzen in Übereinstimmung zu bringen. Als Nächstes kam die Abbildung einer Fassade des Verwaltungsgebäudes Sturm [sic, Stumm] in Düsseldorf. Zum Schluss seines Vortrages ging Behrens auf das Problem des Turmhauses und des Gewerbebaus ein. Ersteres wurde illustriert durch Radierungen von Joseph Pennell und das Städtchen San Gimignano. Zum Gewerbebau zeigte er einige Bauten der A.E.G. und die chemische Fabrik von Poelzig in Posen. Den Abschluss bildeten das Bürogebäude von Berlage in London, ein Gebäude von Oud in Rotterdam und das Scheepvaarthuis (Schifffahrtshaus) [Abb. 2] in Amsterdam. Auch den Umbau des Ladengeschäfts „Liberty“ von H. A. van Anrooy [Abb. 3] betrachtete er überschwänglich als Beispiel für den „werbenden Wert“ der Baukunst, wobei er anmerkte, dass dieser Titel kaum ins Holländische zu übersetzen sei (Het Vaderland 1921). Solche Bauwerke und Inneneinrichtungen sind durch ihren Kunstwert Werbung, aber oft verträgt ein Gebäude das Plakat nicht. Man müsste dann die Plastik gleichsam in Flächen auflösen. Mit der Abbildung der hölzernen Hütte, der sogenannten Reklameburg, auf einem Platz in Leipzig zeigte Behrens, wie das möglich war. Er war auf diese Lösung besonders stolz. Mit der Abbildung des Briefkastens, den er für die Reichspost entworfen hatte, gab er dem Schluss seines Vortrages mit noch größerem Nachdruck eine persönliche Note.

2 | J.M. van der Mey, Scheepvaarthuis, Amsterdam, 1913.
3 | H.A. van Anrooy, Liberty, Amsterdam, 1923.

Erneut war Behrens voll des Lobes für die holländische Baukunst. „Der ‘Aufschwung’ der zeitgenössischen holländischen Architektur wird der Anfang einer Entwicklungsperiode der Baukunst sein, so wie das auch aus dem Mittelalter bekannt ist“ (Mieras 1922). In Anbetracht dieser Bemerkung erstaunt es, dass Behrens nicht die Münchener Dombauhütte zeigte, um die Fortführung der mittelalterlichen Art und der Anwendung von Backstein vorzuführen (Deutsche Kunst und Dekoration 1922-1923). Er wollte einen anderen Schwerpunkt setzen, aber es wäre ein guter Übergang zu den holländischen Gebäuden aus Backstein gewesen.

Wir wissen nicht genau, welches Gebäude von Oud Behrens zeigte. Wahrscheinlich war es eine der Wohnungsanlagen in Rotterdam. Tusschendijken oder Spangen [Abb. 4, Abb. 5]. Behrens dachte, in Oud einen Gesinnungsgenossen zu finden, der unter anderem durch die Verwendung von Backstein ein monumentales Stadtbild anstrebte. Der Rotterdamer Architekt wurde durch den Vortrag vermutlich angespornt, über seine eigenen propagandistischen Arbeiten nachzudenken. In diesem Zusammenhang muss auch das Café De Unie neu betrachtet werden [Abb. 6]. Oud hatte dieses Projekt als eine zeitweilige Reklamefläche für eine solche Einrichtung an einem belebten Platz gesehen. Das sorgte für erhebliche Kritik (van Bergeijk 2013). Tatsächlich konnte der Unterschied zwischen beiden Architekten nicht größer sein. Oud sollte ab den zwanziger Jahren zunehmend weniger Backstein benutzen und seine Gebäude in glattem weißem Verputz errichten lassen. Er hatte deutlich einen anderen Weg eingeschlagen, als ihn Behrens vor Augen hatte.

4 | J.J.P. Oud, Spangen, Rotterdam, 1919-1920.
5 | J.J.P. Oud, Tusschendijken, Rotterdam, 1920-1921.
6 | J.J.P. Oud, De Unie, Rotterdam, 1924.

Nichts desto trotz war Oud derjenige, der die Vorträge von Behrens organisiert und möglich gemacht hatte. Er fragte bei der Maatschapij tot Bevordering der Bouwkunst [Gesellschaft zur Förderung der Baukunst], dem Bond Nederlandse Architekten [Bund Holländischer Architekten] und dem Verein Opbouw nach, ob Interesse bestünde, zu einem Vortrag von Behrens zu kommen. Mieras antwortete, dass der B.N.A. keine Einwände hätte und 75 Gulden beisteuern wolle. Im Namen von „Opbouw“ antwortete der Graphiker und Innenarchitekt N. P. de Koo am 8. März, dass der Vortrag von Behrens gerne stattfinden könne. In seinem Brief vom 15. April 1922 fragt Behrens bei Oud nach, ob die Vorträge noch in diesem Monat stattfinden könnten, da er mit Arbeit überlastet sei und auch noch Vorträge in Lübeck und Wien zu halten habe. Aus einem Brief vom 24. April geht hervor, dass sich die Angelegenheit noch nicht geklärt hatte: ‘Da ich mich aber sehr darauf gefreut habe, ein paar Tage im Kreise der holländischen Künstler zu verleben, so hoffe ich immer noch, daß sich der Ausflug nach Holland einschieben läßt’. Oud hatte jedenfalls angeboten, Behrens Rotterdam zu zeigen. Das sollte er zusammen mit W.H. Gispen und Jaap Gidding tun. Behrens freute sich bereits „wenn wir ein Stündchen zusammen sein könnten, um uns über uns gemeinsam interessierende künstlerische Angelegenheiten auszusprechen“.

Behrens war wie gesagt in Holland kein Unbekannter. Trotzdem widmete ihm J. P. Mieras einen langen und reich bebilderten Artikel, in dem seine bedeutendsten Arbeiten vorgestellt wurden. Die Abbildungen zeigten das eigene Haus in Darmstadt, die Kunsthalle in Oldenburg, die Turbinenhalle in Berlin, das Mannesmanngebäude in Düsseldorf und einen Wettbewerbsentwurf für ein Verwaltungsgebäude ebendort. Der Name Behrens als Maler-Architekt war an die Ausstellung in Darmstadt von 1901 geknüpft. Sein eigenes Haus hatte damals viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als Leiter der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf hatte sich Behrens mit Proportionssystemen und stereometrischen Räumen beschäftigt. Er war von mathematischen Formeln und geometrischen Figuren fasziniert. Es verwundert daher kaum, dass auch J.L.M. Lauweriks, auf eine Empfehlung von H.P. Berlage hin, an dieser Schule gelehrt hat. Lauweriks hatte gerade an der Börse von Berlage heftige Kritik geübt und behauptet, dass Berlage beim Gebrauch eines Systems nicht konsequent war. Trotzdem hatte Berlage, der diese Systeme ziemlich operationalistisch verwendete, Respekt vor dem theosophischen Architekten. Wie Stanford Anderson schrieb:

That Behrens sought out Lauweriks and gave him the principal teaching position in architecture at Düsseldorf is strong evidence for Behrens’s interest in idealist theories of the relationship of geometry to nature and art.

Behrens Zeit an der Düsseldorfer Schule ist schon mehrfach untersucht worden. Anschließend arbeitete Behrens für die Industrie. Ab 1907 hat er das Bild und die Formgebung der Produkte der A.E.G. bestimmt. Dies war Slothouwer bereits aufgefallen. Er schrieb: „Seine Bogenlampen, seine Ventilatoren, seine Gebäude haben eine rein sachliche moderne Schönheit, die für viele eine Offenbarung gewesen ist“ (Slothouwer 1918, 261). Die künstlerische Qualität trug zur Anziehungskraft bei und erhöhte den Verkaufswert. Behrens war ein Architekt, der nicht nur durch die Verbesserung der äußeren Erscheinung der Produkte die Industrie gefördert hat, sondern auch durch den Entwurf von Fabrikgebäuden, die ihrerseits kräftig Werbung für die Industrie machten.

Mit der Position von Behrens innerhalb des Deutschen Werkbundes beschäftigte sich Mieras nicht. Obwohl mehrere Holländer die Kölner Werkbundausstellung 1914 besucht hatten, ging die Diskussion innerhalb des Werkbundes über Typisierung und künstlerische Freiheit an ihnen vorbei. In der Zeitschrift „De Opmerker“ wurde lieber die Auffassung eines Franzosen über die Ausstellung übernommen, als selbst einen Kommentar abzugeben. Der Franzose behauptete:

Die Deutschen wollen mit der Zeit gehen. Ich weiß, dass sie auf dem Gebiet des Handels, der Industrie, mit Riesenschritten vorwärts streben. Sie lieben moderne Methoden. Ich weiß, dass sie im Kunstgewerbe sehr große Fortschritte gemacht haben, dass sie technische Schulen besitzen, deren Lernplan von dem Ziel zeugt, aus dem Geist der jungen deutschen Künstler eine Formenschönheit von vollkommen moderner Art zum Vorschein zu bringen. Und ich habe gehört, wie man sagt, dass auch bereits viele Architekten nach einer neuen Baukunst suchen (De Opmerker 1914).

Viele Namen der Teilnehmer waren bekannt. Im Jahr 1909 gab es sowohl in Amsterdam als auch in Den Haag eine Ausstellung über moderne deutsche Baukunst zu sehen. Peter Behrens, Hermann Billing, Peter Birkenholz, Martin Dülfer, Max Läuger und anderen zeigten ihre Arbeiten. Dass Mieras kein Wort über den Werkbund verlor, war selbstverständlich. Viele Holländer waren der Auffassung, dass der Werkbund in Zukunft wahrscheinlich „eine weniger bedeutende Körperschaft werden würde, als er trotz seiner Lautstärke bereits war“ (De Bouwwerels 1919). Mieras wählte eine andere Betrachtungsweise und begann seinen Artikel mit dem Satz: „Es gibt kaum einen Architekten, dessen Werk einen größeren Anlass zu tiefsinnigem Nachdenken und schwergewichtigem Philosophieren gegeben hat, als das von Peter Behrens“. Für ihn war es offensichtlich, dass die Arbeit von Behrens gleichsam als Provokation gegenüber den so zahlreichen deutschen Kunstgelehrten gelten musste. Er beendete seinen Artikel mit einem langen Zitat aus der von Fritz Hoeber verfassten Monographie über Behrens, in der die „mystische Liebe“ von Behrens zur Sprache kam. Mieras gab dazu den folgenden Kommentar ab:

Es wäre die Mühe wert, näher darauf einzugehen, falls das – es ist bereits so fürchterlich tief – noch möglich ist. Man könnte Lust dazu bekommen [...] aber [...] schrieb ich nicht oben, dass Behrens in seinen Arbeiten ein wenig provozierend war [...] (Hoeber 1913, 179; Mieras 1922).

Darin bestand ein großer Unterschied zu Berlage, der auch gerne als philosophierender Architekt gesehen worden wäre, dessen Schriften allerdings ziemlich hölzern daherkamen und nicht die gleiche Leidenschaft zeigten wie die von Behrens.

7 | „Wendingen“, Wohnungbau Heft, April/Mai 1920.

Im Jahr 1920 erschien eine Doppelausgabe der Zeitschrift Wendigen zum Thema Wohnungsbau [Abb. 7]. Die Einleitung zu dieser Nummer von April und Mai 1920 stammt vom Redakteur H. Th. Wijdeveld. Mit pathetischen und düsteren Ausdrücken deutete er an, dass ein Umbruch im Gang sei, durch den die Mechanisierung und der Materialismus überwunden werden könnten. Das Kapital sei besiegt, aber „das Problem kann vorläufig nicht anders als auf armselige Weise gelöst werden. Die einförmigen Hausgrundrisse sind für Großstadtbewohner, nach eigenen – miefig gewordenen – Ansichten zusammengesetzt“. Der Umschlagentwurf zu dieser Ausgabe stammt von Michel de Klerk. Wir sehen darauf zwei erwachsene und fünf kleine Vögel, wahrscheinlich Schwalben, zusammen in einem stilisierten Nest sitzen. Nach der Einleitung folgte ein Text von Behrens Ueber die Beziehungen der künstlerischen und technischen Probleme, ein Vortrag, den er bereits 1917 gehalten hatte. Der Text war komplett in Deutsch verfasst. Dazu gab es in derselben Ausgabe eine holländische Zusammenfassung. Die Abbildungen betrafen hauptsächlich Arbeiten von Amsterdamer Architekten, was allerdings auch nicht überrascht, da es sich um eine Amsterdamer Zeitschrift handelte. Von Rotterdamer Architekten wurde kaum etwas gezeigt, abgesehen von der Gartenstadt Vreewijk, die M.J. Grandpré Molière und P. Verhagen entworfen hatten [Abb. 8] und die Behrens zweifelsohne gefallen haben wird. Beim Konzept dieser Architekten war nicht nur von einer neuen Beziehung der Häuser mit der Straße die Rede, sondern auch von der Berücksichtigung der verschiedenen Verkehrsströme. Der Entwurf galt als modern.

8 | M.J. Grandpré Molière, P. Verhagen, Gartenstadt Vreewij bei Rotterdam, 1919.

Man weiß nicht, wie die Reaktionen auf die Ausgabe von Wendingen und den Text von Behrens ausfielen. Die Zeitschrift galt als etwas „eigenartig“. Behrens beendete seinen Artikel mit hoffnungsvollen Worten: „In einer Synthese des künstlerischen Könnens und der technischen Tüchtigkeit liegt die verlockende Aussicht, nämlich die Erfüllung unser aller Sehnsucht nach einer Kultur, die sich in der Einheitlichkeit aller Lebensäußerungen als ein Stil unserer Zeit zu erkennen gibt“ (Behrens 1920). Es stellt sich allerdings die Frage, ob viele holländische Architekten damit übereinstimmten, da es nur wenige gab, die nach einer Synthese suchten. Es ist ebenfalls nicht klar, welche Absicht hinter Behrens’ Einladung zu den Vorträgen stand, und es stellt sich die Frage, ob die Erwartungen der holländischen Architekten mit seinem Vortrag erfüllt wurden. Wahrscheinlich nicht. Die Diskussion um das monumentale Gebäude spielte keine zentrale Rolle, schon eher die Frage, wie der soziale Wohnungsbau zu einem besseren Stadtbild beitragen könne. Tatsächlich war das auch die Absicht dieser Ausgabe von Wendingen gewesen, in der der Text von Behrens veröffentlicht wurde. Behrens beschäftigte sich auch nicht mit Normalisierung oder anderen Arten der Grundstückseinteilung. Vielmehr schnitt er ein Thema an, das auf den ersten Blick kaum Bedeutung hatte, das aber trotzdem zum richtigen Zeitpunkt kam, weil bestimmte Architekten in der Auffassung von Behrens eine Basis für ihre eigene Architektur und ihr Gedankengut sahen. Behrens war ein Befürworter des Backsteins, des Handwerks etc., was vor allem von zur Expressivität neigenden Architekten wertgeschätzt wurde. Zu ihnen gehörte Willem Kromhout, der zu dieser Zeit in Rotterdam einen expressiven, monumental wirkenden Backsteinstil einzuführen versuchte. Das Wohnhaus an der Essenlaan von 1916 ist dafür ein erstes Beispiel.

9 | W. Kromhout, Noordzee Gebauede, Rotterdam, 1919.
10 | W. Kromhout, Entwurf Van Dam- Noordzee Gebaude, Wijnhaven,1917.
11 | W. Kromhout, Schifffahrtverein Zuid, Rotterdam, 1917.
12 | W. Kromhout, Lisse Bank, Rotterdam, 1921.

Aber noch mehr zeigen dies seine Gebäude für die Reederei De Noordzee und die Reederei Zuid, und zwar in aller Deutlichkeit [Abb. 9, Abb. 10, Abb. 11]. Auch sein Gebäude für die Lissesche Bankvereniging (1921) [Abb. 12] zeugt von der deutlichen Vorliebe des großartigen Zeichners für das Material Backstein. Er benutzt mehrere Mauerwerksverbände, um die Fassade zu beleben. Im Übrigen meinte Kromhout ebenso wie Behrens, dass ein Gebäude für ein Unternehmen das beste Mittel der Reklame sei. Es musste als Reklame dienen. Das sehen wir in seinem späteren Werk, wie bei dem Gebäude Diepeveen, das durch seinen Turm eine wichtige und auffallende Erscheinung in der Stadt darstellt. Kromhout dürfte es weniger gefallen haben, dass Behrens sich nicht zu Fragen des Städtebaus geäußert hat, die auch für die aktuellen Probleme der Stadt hätten wichtig sein können. Am 27. April 1922 hielt Kromhout vor der Middenstandsvereniging Handel & Nijverheid [Mittelstandsverein Handel und Gewerbe] einen Vortrag über Berlages Planung für den Hofplein [Hofplatz]. Das Büro von Kromhout befand sich am Hofplein und er war daher an der Entwicklung sehr interessiert. Er sprach sich zunächst für den Abriss des Delfter Tores aus. Kurze Zeit später entwickelte er als Gegenmodell zu Berlages Planung ein eigenes Konzept, das die Translozierung des Denkmals vorsah, sodass dieses den Verkehrsfluss nicht behindern würde (Rotterdamsch Nieuwsblad 1912; Voorwaarts 1922; De Bouwereld 1922; De Telegraaf 1926). Kromhout war bis 1923 der erste Vorsitzende des Rotterdamer Architektenvereins Opbouw, die einen anderen Weg einschlug als der eher traditionell orientierten Vereins „Architectura et amicitia“. Während einer Sitzung des Vereins Opbouw hielt er am 31. März 1920 einen Vortrag zum Thema Das Entwerfen. In dem anlässlich seines Todes in der Zeitschrift de 8 en Opbouw veröffentlichten Bericht steht dazu:

Die Dinge, die architektonisch stark beeindrucken, kommen chaotisch ins Bewusstsein, aber man will von dem allen eine Abstraktion, aber entgegengesetzt zur Leidenschaftlichkeit. Es findet Stilbildung statt, eine Kristallisation des visionär Gesehenen. Der Verstand muss sich mit dem Künstlerischen paaren, zusammen sind sie eine Einheit und nicht voneinander zu trennen. Das Element des Verstandes eröffnet neue Gesichtspunkte, das gleichberechtigte Gefühl hat darauf zu antworten und tut das, weil beide ohne einander nicht sein können. Ein solches leidenschaftliches Entwerfen ist dann auch herrlich. Man arbeitet, zeichnet, sieht Fancy [sic] in ihren strahlenden Merkmalen (de 8 Opbouw 1940).

In groben Zügen ist das dieselbe Botschaft, die auch Behrens in seinem Text Das Ethos und die Umlagerung der künstlerischen Probleme in der Zeitschrift „Der Leuchter“ verkündet hatte. Dieser Text war vielleicht der wichtigste, den Behrens geschrieben hat. Er war einer der Ersten, die sich trauten, dieses Wort in die Architekturdebatte einzuführen. Damit legte er die Verantwortlichkeit für ihr Tun in die Hände des Architekten und sieht Bauen nicht nur als eine Konsequenz der Zeit oder des Materials, sondern des Formwillens und der Freiheit eines Künstlers. Die Zeitschrift „Der Leuchter“ wurde von Hermann von Keyserling als „Jahrbuch der Weisheit“ herausgegeben. Neben dem Artikel von Behrens enthielt dieses Jahrbuch von 1920 auch einen Beitrag des Kunsthistorikers Gustav Hartlaub, der einige Jahre später seinen Artikel Ethos der neuen Baukunst in Der Form publiziert hat. Behrens schickte seinen Text als Sonderdruck an J.J.P. Oud [Abb. 13]. Dieser Text stammt aus der Mitte seiner Karriere und verdient eine nähere Betrachtung. Jedes Wort und vor allem alle Begriffe müssen untersucht werden. Leider kann ich das hier nicht tun, vielleicht ein anderer?

Nach seinen Vorträgen schrieb Behrens einen langen Brief an Oud, in dem er sich noch einmal beim Rotterdamer Architekten „für die so überaus liebenswürdige Aufnahme, die Sie mir in Rotterdam bereitet haben“, bedankte. Er schrieb:

Ich habe einen starken Eindruck erhalten, der mir beweist, daß wir einer Zeit künstlerischer Selbstständigkeit entgegen gehen. Wir müssen uns freuen, daran mitarbeiten zu können. Freilich tritt dieses in Holland schon stärker in Erscheinung als bei uns, weil Deutschland durch die traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse gehindert ist, sich auszuwirken. Dennoch aber glaube ich, daß in künstlerischer Auffassung ein Verwandtes zwischen Ihnen und uns besteht, von dem wir allerdings hoffen wollen, daß es sich immer mehr in Volks- und Ortscharakter vertiefe.

Mit dem zuletzt Angeführten konnte Oud sicher nicht übereinstimmen. Er suchte nach einer Architektur, die sich von lokalen Einflüssen löste. Auch mit der Passage des Briefes über Amsterdam wird Oud nicht zufrieden gewesen sein.

Auch Amsterdam, wo mich die Herren Slothouwer, van Anrooy, Wils und Mieras in liebenswürdiger Weise führten, war mir höchst interessant, besonders durch die gute handwerkliche Behandlung der Häuser. Am meisten staunte ich natürlich in Amsterdam-Süd, wo die Baugerüste unübersehbarer Blocks sich bis in die Ferne des Horizontes aneinander reihten. Gerade von den Bauten der sogenannten Amsterdamer Schule hielt Oud überhaupt nichts. Um seine Auffassungen deutlich zu machen, schickte Oud seinen holländischsprachigen Artikel ‘Über die Baukunst der Zukunft und ihre architektonischen Möglichkeiten’ an Behrens. Oud teilte ihm mit, dass der Artikel in deutscher Übersetzung im Frühlicht erscheinen werde. Adolf Meyer werde übersetzen. Oud und Behrens müssen während ihrer Treffen auch über Farben gesprochen haben, was sich aus der Tatsache erschließt, dass Behrens dem Rotterdamer Architekten einen Artikel über die Farbenlehre von Adolf Hölzel schickte: ‘Er befindet sich in dem Protokoll des „Farbentages“ vom Deutschen Werkbund’. In diesem Heft ist auch der Unsinn von Ostwald enthalten (Hölzel 1919).

Er wollte Ouds Meinung zu dieser Problematik hören, die für Behrens damals in Bezug auf seine eigenen Bauten von großer Bedeutung war. Er war der Auffassung, dass Farbe das räumliche Erleben verstärken und intensivieren müsse. Der Berliner Architekt hat Oud auch einen Sonderdruck [mit Auftrag] seines in „Der Leuchter“ erschienen Artikels „Das Ethos und die Umlagerung der künstlerische Probleme“ geschickt, in dem er einen Versuch unternommen hatte, den kollektiven Charakter seiner Zeit zu deuten. Der Rotterdamer Architekt hat den Text aufmerksam gelesen und bestimmte Passagen unterstrichen. Er konnte sich den Auffassungen von Behrens nicht immer anschließen, bestimmt nicht, wenn dieser schrieb:

Die Maschine hat das Seelische des Werkes ganz zerstört, eine Hoffnung kann nur aus der Wiederbelebung des Handwerks entstehen (Behrens 1920).

Oud war allgemein ein Befürworter der Maschine und der Mechanisierung und hielt nicht so viel vom Handwerk. Seiner Auffassung nach war Entwicklung und damit Fortschritt nur möglich, wenn überhaupt kein Kompromiss eingegangen würde, sondern vielmehr die Vorteile der Technik voll zur Geltung gebracht würden. Er antwortete mit einem langen Brief, der als Rohentwurf erhalten geblieben ist: „Gerade die Gegenüberstellung romantischer und klassischer Kunstauffassung interessiert mich besonders. Obwohl ich zugeben musz, dasz beide gleich grosze Existenzberechtigung haben, so kann ich nicht Ihrer Ansicht sein, dasz unsere Zeit beide braucht. Ich bin nämlich der Meinung dasz in jeder Zeit in der Baukunst einer dieser Charaktere ausgesprochen zu Tage treten musz, damit die vorhandenen Kräfte [so] viel [wie] möglich zusammen arbeiten und kollektiv einem Ziel nachstreben. Wenn ich sage, dasz für mich der Charakter unserer Zeit klassische Tendenzen in jeder Hinsicht hat (Organisation, Typisieren, im allgemeinen Ordnungs-mässig ist) so möchte ich damit keineswegs die Romantik verneinen – vielleicht kommt sie wieder an die Reihe – hat Spengler recht! – wenn unserer Mechanisierungstrieb wieder ins Mystische übergeht. Es scheint mir das gar nicht unmöglich; wir brauchen dennoch erst – meiner Meinung nach – noch den Stil, die künstlerische Verkörperung unserer technischen Entwicklung“ (Schwarz 2004). Oud wollte gerne auf die Angelegenheit eingehen, behauptete aber: „Es ist Alles zu umfassend um hier in wenigen Zeilen – schlechtes Deutsch zu [...] diskutieren“. Der Rotterdamer Architekt war gerade in München gewesen, wo er sich die Dombauhütte angesehen hatte. Er sah darin einen Versuch, romantische und klassische Vorstellungen auf einen Nenner zu bringen. „Ich habe Ihre Kirche als eine reizende Note in Mitte des Gewimmels der Gewerbeschau in der Erinnerung“. Die Reaktion von Behrens auf die Beschwerden von Oud ließ nicht lange auf sich warten. In einem vierseitigen handgeschriebenen Brief, datiert vom 26. November 1922, schrieb Behrens:

Ein so wichtiges Thema wie das Verhältnis der Romantik zum Klassizismus ist ja nicht brieflich zu erschöpfen. Ich beabsichtige eine Arbeit hierüber zu machen. Heute nur so viel darüber, daß ich unter Klassizismus, so wenig wie Sie, die Formensprache der Antike verstehe, sondern den Geist des Archimedes auf der Grundlage mathematisch gerichteten Denkens, der mit aller Kunst – was ist Kunst, oder Schönheit? – der mit dem Seelischen, dem Unterbewusstsein, dem Ethos nichts zu tun hat. Alles, was den Menschen innerlich und tiefer berührt, ist eben von romantischer Art, die, in keiner Zeit, auch nicht in der Spätantike ganz verloren gegangen ist. Und hierin liegt der Grundirrtum Spenglers, so weit ich nach seinem ersten Band, den allein ich kenne, urteilen kann. Die Technik können wir freilich nicht entbehren. Im Gegenteil. Aber wenn wir den Stil daraus finden wollen, die künstlerische Verkörperung wie Sie sagen, dann bemühen wir uns eben nicht intellektuell, sondern gefühlvoll, musikalisch, wenn Sie das Wort akzeptieren wollen. Das ist keine Spielerei mit Worten, sondern von fundamentaler Bedeutung. Es wird mir immer klarer, daß alle bisherige Versuche, die Technik aesthetisch zu beeinflussen, sie in das schöne Stadtbild einzubeziehen, dahin geführt haben, sie ihrer Charakteristik zu entkleiden, das Neue und Fremdartige zu mildern, sie anständig, d.h. salonfähig zu machen, sie den Gewohnheitsformen anzupassen, anstatt die märchenhafte Unwahrscheinlichkeit, die groteske Phantastik ihrer oft bizarren Formen zum Leitmotiv zu nehmen. Die künstl. Möglichkeiten, die in der Technik liegen, sind auch nicht in Entferntesten erschöpft. Wir stehen vielmehr am Anfang (Behrens 1922).

Er fügt hinzu:

Was ich sehr bedaure, ist, daß der Begriff Romantik fast niemals richtig verstanden wird. Kein anderer als Friedrich Schlegel sagt an irgend einer Stelle: Das was an Goethes Wilh. Meister am meisten zu rühmen sei, wäre, daß man den antiken Geist unter der modernen Hülle überall wiedererkenne. Diese Kombination eröffne die neue endlose Aussicht auf die höchste Aufgabe der Kunst, die Harmonie des Klassizismus und der Romantik’. Diese Romantik hatte er auch in dem Gebäude der Dombauhütte in München gesucht, die sowohl zuerst Jaap Gidding als auch später Oud aufmerksam betrachtet haben. Ob sie Oud genauso sehr gefallen hatte, wie er an Behrens schrieb, darf bezweifelt werden. Der nüchterne Rotterdamer Architekt hatte kaum etwas mit dieser Art mittelalterlicher Ergriffenheit am Hut. Im Gegensatz zu Kromhout machte Oud nicht das Gefühl oder eine Art Mystik zur Grundlage seiner Architektur, sondern das Denken, ganz in der Tradition von Berlage. Das Gebäude von Behrens sorgte aber durchaus für viel Aufregung. In einer holländischen Zeitung stand: ‘Gotisch durch innere Verwandtschaft ist auch die kleine Kirche, die Peter Behrens da draußen als ‘Dombauhütte’ gebaut hat. Ein schlichtes, vollständig in Backstein errichtetes Gebäude; ein hoher Kubus, aus dem sich die Seitenkapellen als spitz zulaufende Kristalle entwickeln. Es herrscht in diesem echt nordgermanischen Bauwerk ein sehr strenger, vielleicht etwas puritanischer Geist, der dem Süddeutschen auf die Nerven geht’ (Nieuwe Rotterdamsche Courant 1922a).

Wieder einmal hatte Behrens ein provozierendes Gebäude entworfen. Jaap Gidding [Abb. 14] schreibt Oud darüber ausführlich in einem Brief vom 2. September 1922. Gidding äußert sich lyrisch über das Bauwerk und seine verschiedenen Farben. „Behrens wollte hier dem Handwerker selbst wieder eine Freude am Bauen zu geben, in dem er ihm nach seiner Ansicht den vielfarbigen Stein benutzen ließ“. Er glaubt zu wissen, was Oud davon halten würde:

Möglicherweise würdest du sagen, die ganz modernen [Künstler] fehlen, aber ich komme zunehmend zu dem Schluss, [dass] doch vor allem bei der Innenarchitektur eine gewisse Intimität, Wärme, nötig ist und das fühlen sie hier sehr gut [,] wie ich finde. Mit Taut herrschte auch darüber eine Meinungsverschiedenheit. Aber das ist doch auch wieder so ein heftig nervöser unruhiger Mensch. Dieser spitze Vogelkopf mit seinem Marabuhaar war schwer in Aktion. Er war mit Finsterlin hier, aber dem bin ich nicht begegnet.

13 | Der Leuchter, Sonderdruck mit Widmung von Behrens an J.J.P. Oud, 1920.
14 | Jaap Gidding im Jahr 1933.

Die Diskussion zwischen Behrens und Oud scheint zu einem Ende gekommen zu sein. In seinen Briefen schreibt Behrens, dass er das Thema als „zu groß und zu ernst“ empfinde, um es mit dem Rotterdamer Architekten auf Abstand zu besprechen. Gerne wolle er mit Oud seine Meinung austauschen, falls dieser zukünftig nach Berlin käme. Ein Jahr später ist es soweit; die beiden treffen sich, als Oud nach Berlin kommt, um dort einen Vortrag zu halten. Aber man weiß nicht, ob sie das Thema damals erörtert haben. Für den Vortrag war Oud vom Verein für Deutsches Kunstgewerbe in Berlin eingeladen worden, dessen Vorsitzender Behrens war. Für den Vortrag vom 21. März 1923 wurde Oud zum Thema Altes und Neues aus der Stadtbaukunst angefragt. Aber der Rotterdamer Architekt änderte diesen Titel sehr schnell in: Über die Entwicklung der modernen Baukunst in Holland: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.

In Berlin wurde er von Behrens am Bahnhof abgeholt. Der Briefwechsel zwischen den beiden scheint mit Ausnahme eines kleinen Briefes von 1927 auf das Jahr 1922 beschränkt geblieben zu sein. Es lassen sich jedenfalls keine anderen Spuren eines Meinungsaustausches finden. Es ist auch nicht bekannt, ob Behrens Kontakte mit anderen Kollegen pflegte, die er in Holland getroffen hatte. In jedem Fall hatte seine holländische Reise einen bleibenden Eindruck bei Behrens hinterlassen. Er wurde mit einer Architektur konfrontiert, die sowohl romantisch wie klassisch war. Er verarbeitete seine Eindrücke in verschiedenen Vorträgen, die er über die holländische Baukunst seiner Zeit hielt. Dafür hatte er sich noch Lichtbilder bei Oud und Mieras ausgeliehen. Von Oud unter anderem Aufnahmen seiner eigenen Wohnanlagen und derjenigen von Michiel Brinkman in Spangen. Die hatten seine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen und zeigten, welche „gesetzmäßige Richtung“ in Rotterdam bestimmend war. Von Mieras hatte er Fotos des Entwurfes von Berlage für den Hofplein bekommen. Oud bat er um zusätzliche Auskünfte zu dieser Planung und dem Streit, der sich um diese entwickelt hatte. Anlässlich eines Vortrages von Behrens in München wurde, vielleicht durch Jaap Gidding, in der Nieuwe Rotterdams Courant in einem langen Artikel auf die Tatsache verwiesen, dass Behrens vor dem berechnenden und theoretisierenden Verstand in der holländischen Baukunst warnte, die durch Extreme gekennzeichnet wurde. Zeitschriften wie Wendingen und de Stijl repräsentierten in seinen Augen diese Extreme. Der Verfasser dieses „privaten Briefwechsels“ merkte auch an, dass die Reproduktionen der Fotos, die die holländischen Künstler zur Verfügung gestellt hatten, nicht immer den zu stellenden Anforderungen genügten. Noch mehr fiel auf, dass Behrens Architekten wie Th. Wijdeveld oder W.M. Dudok während seines Vortrages überhaupt nicht erwähnt zu haben scheint. Und gerade diese vertraten einen Weg, der viel Ähnlichkeit mit dem von Behrens hatte (Nieuwe Rotterdamsche Courant 1922b).

Literaturliste

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Erich Mendelsohn, „Algemeen Handelsblad“ (26. März 1922).

Anderson 2000
S. Anderson, Peter Behrens and a new architecture for the twentieth century, Cambridge (Mass.) 2000.

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P. Behrens, Ueber die Beziehungen der künstlerischen und technischen Probleme, „Wendingen“ (März-April 1920), 20.

Behrens 1922
P. Behrens, Stil?, „Die Form“ 1 (1922), 5-8.

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P. Behrens, H. de Fries, Vom sparsamen Bauen, Berlin 1918.

van Bergeijk 2013
H. van Bergeijk, Felle en ongezouten kritiek. Jan Verheul en de gevel van J.J.P. Oud, „Eigenbouwer“, Heft 1 (2013), 16-29.

Broch 2005
R. Broch, Peter Behrens‘ Wohnungsbaukonzepte. Von der repräsentativen Industriesiedlung zur kostengünstigen Kleinsiedlung, Dissertation, Marburg 2005.

Buderath 1990
B. Buderath, Ein Gesamtkunstwerk der Moderne, in B. Buderath (Hrsg.), Peter Behrens. Umbautes Licht. Das Verwaltungsgebäude der Hoechst AG, München 1990.

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Verslag van de lezing „Het ontwerpen“, „de 8 en Opbouw“ 13-14 (1940), 123-124.

De Bouwwereld 1919
In den Duitschen Werkbund, „De Bouwwereld“ 42 (1919), 340.

De Bouwwereld 1922
Andermaal de hemelkrabbers, „De Bouwwereld“ 16 (1922), 121.

De Opmerker 1914
Een Franschman over Moderne Duitschen Bouwkunst, „De Opmerker“ 8 (1914), 58.

De Telegraaf 1926
De heer Kromhout en het Hofplein-vraagstuk, „De Telegraaf“ (27. Dezember 1926).

Deutsche Kunst und Dekoration 1922/23
Die Dombauhütte. Aus der Eröffnungsrede von Peter Behrens, „Deutsche Kunst und Dekoration“ 4 (1922-1923), 220-230.

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E. Göldner, Gedanken zur Industrialisierung des Wohnungsbaus von Peter Behrens, „Baukunst und Werkform“ 8 (1955), 308-310.

Het Vaderland 1921
Heropening Liberty’s magazijn in Amsterdam, „Het Vaderland“ (13. September 1921).

Het Vaderland 1922
Peter Behrens spreekt te Rotterdam, „Het Vaderland“ (27. Mai 1922).

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F. Hoeber, Peter Behrens, München 1913.

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De toekomst van de Delftsche Poort, „Rotterdamsch Nieuwsblad“ (4. Oktober 1912).

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U. Schwarz, Romantik und Architektur. Zum Doppelgesicht der Moderne, Hamburg 2004.

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Het Hofpleinplan „Berlage“ in de vergadering van de Middenstandsvereeniging „Handel en Nijverheid, “Voorwaarts“ (8. Mai 1922).

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J. Wils, Lezing Erich Mendelsohn, „Het Vaderland“ (8. November 1923).

English abstract

Although Peter Behrens only made one project for a building in the Netherlands – a project for the family Kröller-Müller that was never build – his contacts with Dutch culture was not limited to this singular event. In fact in 1922 he gave a lecture in both Rotterdam and Amsterdam. He used this as an opportunity to visit many buildings on which he shortly after gave a lecture in Munich. A correspondence that developed with J.J.P. Oud is especially interesting because it touched on many colour problems that were intensively debated in those days. This article seeks to trace the relational lines between the Netherlands and this seminal figure of the international architectural scene.

keywords | Peter Behrens, Netherlands, Oud,  architecture. 

Per citare questo articolo / To cite this article: H. van Bergeijk, Der “Geist des Arkimedes”. Die Bedeutung von Peter Behrens für die Holländische Architektur, “La Rivista di Engramma” n. 164, aprile 2019, pp. 131-154 | PDF dell’articolo

doi: https://doi.org/10.25432/1826-901X/2019.164.0004